Der gar nicht so kurze Post zum langen Abschied

Der Regionalexpress R6 fährt trotz Winterwetter fast pünktlich in Chemnitz ab, aus diesem so überdimensioniert im Verhältnis zur Zahl der Zugverbindungen wirkenden Hauptbahnhof. Vor fast fünf Jahren fuhren wir mit einem gemieteten Transporter diese Strecke ebenfalls bei Schnee und Eis, die letzte Fuhre des Umzugs nach Leipzig. Dass ich noch einen ganzen Fünfjahrplan dranhänge, um Woche für Woche im Netzwerk für Kultur-und Jugendarbeit zu werkeln, hätte ich damals nicht gedacht. Nun ist auch damit Schluss. Doch ganz lässt mich Chemnitz immer noch nicht los. Weiterlesen

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Letzte Konkretisierung

„Was mich immer etwas enttäuscht, dass die Zeitungstexte kaum konkret werden …“ beschwert sich Andreas Schüller, selbst Künstler und Chef der Chemnitzer Galerie Laterne, im aktuellen Laterne-Journal, über die Harmlosigkeit von Kunstkritik. Da muss ich an eine heftige Debatte denken, die ich mit Andreas vor langer Zeit, 13 Jahre etwa, hatte. Meinen Text im Stadtstreicher über eine Ausstellung in der Laterne fand er zu konkret in negativer Richtung. Daraufhin erschien in seinem Journal eine wütende Attacke auf diese blöden Journalisten, die mich wiederum zu einer Replik veranlasste.

Solche Auseinandersetzungen sind tatsächlich selten. So selten wie Verisse über Kunstausstellungen. In überregionalen Medien findet man die, Robert Hughes Sammlung Denn ich bin nichts, wenn ich nicht lästern darf ist ein wunderbares Beispiel dafür. Aber in der Lokalpresse scheint das schwer machbar, selbst wenn die Redaktionen es erlauben. Das hat Gründe.

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Hintenrum

Die Veranstaltung, für die heute in der LVZ geworben wird, geht mir glatt am Hintern vorbei:

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Unverseglich

Ausgerechnet in einem libanesischem Film habe ich das Wort gebendeit gehört. Das erinnerte mich irgendwie an das zu DDR-Zeiten gebräuchliche Gerede von „unverbrüchlicher Freundschaft“. Da habe ich auch immer überlegt, wovon das denn abgeleitet ist: verbrechen? Aber benedeien gibt es wirklich als Verb, ich habe nachgeschlagen. Es soll synonym mit segnen sein. Der jetzige Papst wusste schon, warum er den Namen Benedikt, also der Gesegnete, gewählt hat. Da spart er vor der Heiligsprechung einen Schritt ein.

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Zwischenlese

Nun habe ich endlich angefangen, Sarrazin zu lesen. Geld wollte ich dafür nicht ausgeben, jetzt war es in der Bibliothek zu haben. Für eine Einschätzung ist es nach etwa 100 Seiten noch zu früh, doch ein Zitat aus dem Buch, das ich unmittelbar davor gelesen habe, scheint zufällig ganz gut zu passen. In dieser Einführung in die „Cultural Studies“ steht da über die von Politik und Medien praktizierte „Signifikationsspirale“:

(1) Identifizierung eines bestimmten „Problemthemas“

(2) Identifizierung einer subversiven Minderheit

(3) Artikukation – d.h. Herstellung von „Konvergenzen“ – des Themas mit anderen gesellschaftlichen Problemen

(4) Einrichtung symbolischer „Schwellen“, deren Überschreitung zur Eskalation der Bedrohung führen kann

(5) Vorhersage noch größerer Probleme, sollten keine Maßnahmen getroffen werden

(6) der Ruf nach „strengeren Maßnahmen“

Das scheint aber die Sarrazin-Debatte zu beschreiben. Es stammt aber aus dem England der 1970er Jahre, als angeblich jugendliche Straßenräuber die gesellschaftliche Zukunft infrage stellten.

Quelle: Marchart, Oliver: Cultural Studies. Konstanz: UVK 2008, S. 237.

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Volltreffer

Die Präzision der Horoskope im der LVZ verblüfft mich immer wieder. Die Vorhersage in der aktuellen Wochenendausgabe ist aber unübertrefflich. Da wird mir geraten, doch endlich Behördengänge zu erledigen. Am Samstag und Sonntag. Aus welcher Sternkonstellation wurde das herausgelesen? Und was sagt die Gewerkschaft der Hellseher dazu?

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Voller Zug

Das Jugendwort des Jahres ist also „Niveaulimbo“. Leider hat das keiner der mir persönlich bekannten Jugendlichen (und manche davon wohnen in der Metropole Berlin) je gehört. In welchen Redaktionsstuben denkt man sich so was aus?

Reales Leben war allerdings die Durchsage, die ich heute früh im Zug Leipzig-Chemnitz gehört habe, als er (wie fast immer) in Liebertwolkwitz außerplanmäßig hielt: „Werte Fahrgäste, die Weiterfahrt verzögert sich um wenige Minuten. Wir erwarten einen Zugvollzug.“ Leider wurde nicht mitgeteilt, ob es sich um offenen oder geschlossenen Vollzug handelte. Bei diesem Wetter plädiere ich für geschlossenen.

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Kindheit in KMSt

Etwas erstaunt war ich, vom Plöttner-Verlag, gegen den ich vor einen Jahr prozessiert hatte, einen dicken Brief zu bekommen. Drin war das neue Buch von Jan Kuhlbrodt, ohne Anschreiben. Gut, gegen Schenkungen von Lesestoff habe ich selten was einzuwenden. Und gelesen habe ich das Büchlein nun auch.

„Vor der Schrift“ heißt es. Die grafische Gestaltung deutet schon darauf hin, dass es um Kindheitserinnerungen geht. Doch ins Französische gedreht – avant la lettre – kann auch gemeint sein, das die Autoren-Persönlichkeit schon existierte und geformt wurde, als sie ihren schönen Namen noch gar nicht buchstabieren konnte. Für den Schriftsteller und Philosophen Kuhlbrodt muss die Schrift einen herausragenden Stellenwert haben, die Zeit davor ist wohl nur eine Vorbereitung.

Er erzählt präzise (nehme ich jedenfalls an) von teilweise recht verwickelten Familienverhältnissen im Karl-Marx-Stadt der späten sechziger Jahre, von den Wohnungen – der heruntergekommenen auf dem Sonnenberg, der neuen im Plattenbau – und von frühen Freundschaften. Für mich gibt es Dejà-vu-Effekte, da ich ja die Stadt auch noch vor der Wende kennengelernt habe und Namen wie Friedrich-Engels-Straße mit etwas Anstrengung zu verorten weiß. Und auch weil ich den Autor und von den handelnden Personen zumindest die Mutter kenne. Ob die Aufreihung von Episoden aber für Leute in anderen Gegenden auch einen Reiz haben kann, ist doch eher fraglich. Denn die literarische Verarbeitung bleibt im Unterschied zu Kulbrodts vorigem Buch, dem ebenfalls autobiografischen „Schneckenparadies“, dünn. Zwar werden Reflektionen über die jetzige Zeit, in der er selbst Vater von zwei Töchtern ist, eingeflochten, doch Tiefe ist selten mal vorhanden. Es ist ein sehr persönliches Buch. Es sieht so aus, als habe er diese Erinnerungen sicherstellen wollen für sich selbst, ein bisschen auch für die Familie. Doch dafür wäre nicht unbedingt die Veröffentlichung nötig gewesen.

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Zu unserer Zeit

„Zu unserer Zeit hat´s sowas nicht gegeben!“ Wenn ich als Jugendlicher diesen Satz hörte, war für mich klar, dass ich ihn niemals aussprechen würde. Wenn doch, dann wäre es ein untrügliches Zeichen für Altersdebilität.

Unverzichtbar bei diesem Satz ist das deutlich mitgesprochene Ausrufezeichen. Erst dadurch wird klar, dass man meint: Wirwollensowasauchheutegottverdammichnichthaben!!! Ansonsten wäre es ja nur eine simple Feststellung. Ein oder zwei Generationen zuvor gab es eben noch keine Kassettenrekorder, Raumkapseln, Verhütungspillen, Schwadmäher E 301. Schade eigentlich, aber den technischen Fortschritt in seinem Lauf hielten auch Honecker, Hager und Mittag nicht auf. Es geht aber um das Andersseinwollen, -können, -dürfen der Jugend.

Mein Großvater mütterlicherseits stellte einen typischen Aufsager dieses Satzes dar. Er war ein sehr lieber, intelligenter, lebenslustiger und vielseitig interessierter Mensch, der nach fünf Jahren sowjetischer Kriegsgefangenschaft als überzeugter Kommunist zurückkehrte und zum Direktor einer Möbelfabrik in der Oberlausitz gemacht wurde, obwohl er lieber selbst mit der Hand das Holz bearbeitete. Technologische Neuerungen musste er immer gleich ausprobieren. Als zum 20. Jahrestag der DDR 1969 das Rundstrickgewebe Präsent 20 in kleinen Mengen hergestellt wurde, besorgte er durch seine kollegialen Beziehungen sofort einige Meter für meine Mutter, damit sie als gelernte Schneiderin daraus was Schickes für die ganze Familie nähen konnte. Wurde aber im Radio die Thomas-Natschinski-Combo gespielt oder kam in unserem Einsender-TV ein Film mit Louis de Funes, dann war die Toleranz für Neues am Ende.

Meine Oma väterlicherseits hingegen sagte immer, wenn meine Haare knapp über die Oberkante der Ohren ragten: „Siehst aus wie ein Beatle!“ Als ich Jahre später erfuhr, dass es im kapitalistischen Ausland eine Tanzkapelle gab, die sich so nannte, wunderte ich mich sehr. Wie kann man solch ein Schimpfwort für einen verwahrlosten Menschen zum Namen wählen und trotzdem einigermaßen erfolgreich sein? Jedenfalls spielten sie in der Dorfdisko Schirgiswalde fast jedes Mal einen Schlager dieser Formation.

Trotz der fürsorglichen Erziehung und meinem schüchternen Naturell erwachten spätestens um das 16. Lebensjahr herum rebellische Gefühle. Meine Kumpels waren im Dagegen-Sein zwar viel weiter, aber auch meine Protesthaltung war keine modische Attitüde, sondern Bedürfnis. Während des Studiums kam dann theoretische Unterfütterung hinzu. Zwar wollte ich die DDR nicht abgeschafft wissen, aber stellte sie mir ganz, ganz anders vor. Als ich 1988 das Wort Exmatrikulationsverfahren persönlich kennenlernte, war das nicht wegen Faulheit und auch nicht wegen zu langer Haare. Als Oppostionellen sah ich mich deswegen nicht, doch ein Mindestmaß an Verweigerung gehörte für einen jungen Menschen einfach dazu. Offensichtlich nicht nur im Osten. Berichte über die 68er-Bewegung, die es gut gefiltert tatsächlich auch in der DDR gab, gehörten zu meiner Lieblingslektüre. Im September 1989 trat ich dann zum ersten und bisher einzigen Mal einer politischen Gruppierung bei, der Vereinigten Linken. Als da aber Maoisten und Trotzkisten um die Führungsrolle stritten, war ich schnell wieder weg. Auch die Besetzung der Leipziger Uni Ende 1990 hatte ich mir eigentlich romantischer vorgestellt, ging darum lieber zur Silvesterparty in die Moritzbastei.

Heute kriege ich allerdings häufig die Krise, wenn ich Jugendliche beobachte. Nicht weil sie gegen die Ansichten und Gewohnheiten meiner Generation auf die Barrikaden gehen, sondern weil sie die Welt im Großen und Ganzen ziemlich in Ordnung finden. Nur ihre persönliche Einkommenslage gilt es noch zu optimieren. Solch eine Schlaftabletten-Disziplin wie BWL gehört darum zu den begehrtesten Studienfächern. Von Dieter Bohlen bei einer Castingshow niedergemacht zu werden gilt als Auszeichnung. Besonders Mutige ziehen den USB-Stick aus dem Computer, ohne ihn vorher zu deaktivieren oder werfen Originalverpackungen vor Ablauf der Garantiefrist weg. Als Gipfel der Aufmüpfigkeit gilt es, abend Aronal und morgens Elmex zu nehmen.

Ja gut – Outfit und Körpermanipulation der Kids können manchmal extremistisch erscheinen. Die Avantgarde trägt Piercings sogar schon an inneren Organen. So what? Heute gehört es doch bei Börsenmaklern zum guten Ton, sich Che Guevara auf die Augenlider tätowieren zu lassen.

Dass es nicht nur mein subjektiver Eindruck ist, bestätigt die letzte Shell-Jugendstudie: Nie gab es in den vergangenen hundert Jahren eine Generation, die so wenig opponiert hat. Die gegenwärtigem Jugendlichen sind Meister der Stromlinie. Also, zu unserer Zeit hat´s sowas nicht gegeben!

veröffentlicht in Corax 5/2010

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Leipzig rules

André Herrmann und Julius Fischer aka Team Totale Zerstörung sind bei den Meisterschaften des deutschsprachigen Poetry Slams im Teamwettbewerb Zweite geworden. Herzlichsten Glückwunsch! Auf Andrés Blog findet sich dazu auch ein Mitschnitt.

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