Jetzt noch wertvoller

Vor wenigen Tagen erschien mein Artikel zur sogenannten Hochkultur im Monatsblatt Leipzigs Neue, leider ohne Fußnoten. Bei solch einem Text mit Zitaten erscheint mir das aber nötig. Darum hier nochmal vollständig:

Die Chimäre Hochkultur

Schwierigkeiten beim Fassen eines ganz und gar bürgerlichen Begriffs

„Überquert die Grenze, schließt den Graben!“ nannte sich ein berühmt gewordener Aufsatz des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Leslie A. Fiedler1, der 1969 erschien – nicht in einer Fachzeitschrift, sondern im „Playboy“. Weiterlesen

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Der achte Poet

Den poet als Zeitschrift anzuerkennen, fällt mir immer etwas schwer, sieht das Druckerzeugnis im A5-Format und mit 255 Seiten doch aus wie ein richtiges Buch. Aber die Bezeichnung „literaturmagazin“ soll wohl dazu verführen, keine Ausgabe verpassen zu wollen, quasi ein Abo auf frische Texte abzuschließen. Zu dieser Verlockung tragen seit Ausgabe 4 auch die Titelgrafiken von Miriam Zedelius bei. So ganz ohne Verpackung scheint es also auch für Herausgeber Andreas Heidtmann nicht zu gehen, der ansonsten gern für Literaturvermittlung in purer Reinheit eintritt.

Ein Schwerpunktthema ist die neue russische Lyrik, ausgewählt von Alexander Nitzberg, der selbst in zwei Sprachen zuhause ist. Sofern denn die elf Namen repräsentativ sein können für solch ein großes Volk mit starker poetischer Tradition, wird klar, dass Versmaß und Reim immer noch eine viel stärkere Rolle spielen als bei deutschen Gegenwartslyrikern, welche ernst genommen werden möchten. Das kann als antiqiuert angesehen werden oder aber als Respekt vor dem potentiellen Leser, der nicht immer nur Rätsel entschlüsseln möchte.

Zum festen Bestandteil des poet sind die ausführlichen Gespräche mit Autoren geworden, ein angenehmes Unterscheidungsmerkmal zu anderen, ähm ja … Zeitschriften. Diesmal sind es durchweg ausländische Schriftsteller(innen), die hier leben und fast alle auch in deutsch ihre Bücher schreiben. Diese Kulturvermischung ist zwar nicht ganz neu, aber bezeichnend für die globale Wanderungsbewegung. Für mich, der selbst in einer multiethnischen Familie lebt, sind diese Blickweisen der Zugereisten sehr interessant.

Recht kurz kommt im achten Poeten die Prosa weg, hier mit „Geschichten“ überschrieben, um die Assonanz mit „Gedichten“ und „Gesprächen“ nicht zu stören. Dafür ist sie aber, wie häufig, der Teil, der auch ohne einen literaturwissenschaftlichen Werkzeugkasten konsumierbar ist. Von den Gedichten sprechen mich nun gerade die an, deren Macher nicht mehr ganz so jung sind – Richard Pietrass beispielsweise. Oder Gerhard Falkner, auch wenn ich bei Lyrik eigentlich nicht so gern zwischendurch nach Wörtern wie Ignatia oder Aramith googeln muss. Trotzdem wirken Falkners Texte zeitgemäßer als die mancher Nachwuchslyriker. Vielleicht liegt das daran, dass ich selbst fast 50 bin.

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Totale Macke

E wird Zeit für einen Grundsatzartikel zum Thema Totalitarismus. Ja – jene Gesellschaftsform, in der Alles, auch das Privateste, einer herrschenden Idee unterworfen wird. Die tobt gegenwärtig in reinster Ausprägung. Es ist einfach unmöglich, sich dem Fußball als allumfassender Leitkultur zu entziehen. Egal, welchen Fernsehsender man wählt – Fußball. Sogar der Kultursender arte überträgt ungekürzt Spiele früherer WMs. Das Gleiche setzt sich in den Printmedien fort. Auch eine Wochenzeitung wie Freitag, ansonsten als linksalternativ bekannt, stellt besorgt die Frage der Woche, ob die deutsche Elf richtig zusammengesetzt sei. Die Werbung muss logischerweise auch völlig gleichgeschaltet daherkommen. Soll ein BH verkauft werden, sind eben Bälle drin, Bier wird bei kastenweisem Genuss zum besten Fitmacher, Autos sind in erster Linie dafür da, dass Spielerfrauen ihre Kinder zum Training kutschieren. Auch der totale Medienverzicht hilft nicht. Kollegen, Freunde, Bekannte reden nur über eines, auch wenn sie ansonsten die Fähigkeit zum kritischen Denken durchaus schon bewiesen haben. Und als ich gestern in der Villa des Deutschen Literaturinstitus stolperte, um da etwas Werbung für ein Literaturfestival abzuladen, kam ich ins abgedunkelte Foyer, wo auf einem Riesenbildschirm das Eröffnungsspiel der WM lief. Klar, die Jungliteraten müssen ja irgendwoher einen Einblick ins reale Leben kriegen.

Der staatlich subventionierte Fußball-Terror geht gewaltig auf den Sack, und doch scheint er im Unterschied zu anderen Totalitarismen nur selten Widerstandsaktionen zu erzeugen. Das ist erstaunlich. Es gibt doch mindestens drei Gründe, für einigermaßen vernunftbegabte Menschen, hier zum Guerillero zu werden:

1. Das ist Turbokapitalismus in Reinstkultur. Die Profitraten sind gigantisch, Hedgefonds sind gemeinnützige Vereine im Vergleich zum Profifußball. Wo sonst werden Menschen für derart gigantische Summen verkauft? Ganz zu schweigen von der Vermarktung jeglichen Tinnefs rund um diesen ganzen Scheiß.

2. Der Nationalismus feiert fröhliche Auferstehung. Für Deuutschlaaaand!!! laufen solche Super-Germanen wie Cacau, Boateng, Aogo oder Gomez auf den Platz. Macht nichts. Diese sogenannten Nationalmannschaften sind der tribbelnde Beweis dafür, dass sich die Nationalstaaten in fortgeschrittener Auflösung befinden.

3. Das Macho-Gehabe ist extremistisch. Ist irgend wer grölend durch die Straßen gelaufen, als die Fußball-Frauen zum wiederholten Male den WM-Titel in die Bundesrepublik Deutschland geholt haben? Und wehe, einer unserer Jungs da in Südafrika wird als schwul geoutet! Das wär ja katastrophal.

Ich glaube, es ist Zeit, wenigstens Buttersäure in den Fan-Meilen zu verspritzen. Genau so riechen die Idioten da zwar sowieso, aber es wird noch nicht ganz deutlich.

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Lästermaul

„Da wird morgen was Böses in seinem Blog zu lesen sein“ sagte Poetenladen-Hüter Andreas Heidtmann gestern abend, als ich zum Durstigen Pegasus in die MB einrückte. Von wegen, worüber sollte ich denn lästern? War doch ein nettes Gespräch über die neue Leipziger Verlagslandschaft der Ära nach Insel, Brockhaus, Kiepenheuer etc. Und schließlich ging ich sogar noch mit zwei Buchgeschenken nach Hause, eben von A.H. bekommen. Für Verisse ist es zu früh, die Werke zu studieren habe ich über Nacht noch nicht geschafft.

Stattdessen kann ich mich über die LVZ lustigmachen. In der heutigen Beilage zum Bachfest habe ich diesen schönen Ausschnitt gefunden, wo der mündige Leser zum Mitdenken ermutigt wird:

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Keine Gewalt!

Ein Tagebuch nennt sich Clemens Meyers jüngste Buchveröffentlichung Gewalten im Untertitel. Meyer, einst als der „meisttätowierte Schriftsteller Deutschlands“ etikettiert, war schon nach dem Erfolg seines Erstlings Als wir träumten reichlich genervt, immer wieder nach der „Authetizität“ des Geschilderten befragt zu werden. Selbst schuld, könnte man nun angesichts solch einer selbstgewählten Gattungsbezeichnung sagen, wenn die Fragerei in der Gegenwart fortdauert.

Natürlich ist es kein Tagebuch, auch wenn ab und zu Datumsangaben gemacht werden – recht vage. Die Geschichten handeln 2008 und 2009. Oder auch nicht, weil die Erzählzeit eben nicht durchweg „authentisch“ ist, sondern manchmal fiktiv. Ohne jede Erfindung ist sicherlich die absichtlich ans Ende gesetzte Schilderung aus den letzten Lebenstagen seines alten Hundes. Als ich Clemens Meyer vor drei Jahren zu einer Veranstaltung nach Chemnitz einlud, sagte er schon am Telefon, dass er aber unbedingt abends noch nach Leipzig zurückkommen müsse, da der Hund allein in der Wohnung ist. Auch wenn der Autor mit Knast- und Drogenerfahrungen manchen früheren Freund in jungen Jahren sterben sehen musste, geht ihm der Verlust des Hundes offensichtlich sehr nahe. Das kann ich nachvollziehn, da unserer gleichermaßen hochbetagt vor fünf Jahren eingeschläfert wurde.

Doch genau diese traurige Geschichte scheint die „menschlichste“, sanfteste des Buches zu sein. In den anderen geht es um Pferdewetten, Fußballgegröle (Schemieee!!), Huren, Gifte (deren schlimmstes die Zahlen sind) – Gewalten eben. Seit Als wir träumten ist Clemens Meyer auf dieses Thema festgelegt. Und es ist wohl auch immer noch, trotz des Buchpreises der Leipziger Messe und anderer Anerkennungen seitens des gutbetuchten Literaturbetriebes, seine reale Welt. In Gewalten scheint er allerdings all zu sehr der Erwartungshaltung entgegenkommen zu wollen. Die Vergewaltung und Tötung eines kleinen Mädchens, die er verarbeitet, hat sich tatsächlich in unmittelbarer Nähe in Leipzigs wildem Osten zugetragen. Guantanamo, Abu Ghraib, Winnenden aber nicht. Doch für das Pastiche zivilatorischer Nebenpfade scheint es Meyer für nötig zu halten, auch diese Stichworte einzubeziehen (ebenso die schwarz-gelbe Koalition). Diese Sujets sind durch eine ausgefeilte Montagetechnik oder Verlagerung im Metabenenen klar als Erfindungen ausgewiesen, die sprachliche Beherrschung ist großartig. Dennoch werten diese allesamt um Etagen höher angesiedelten Gewaltthemen die mehr oder weniger real beschriebenen simplen Tragödien ab, obwohl gerade da die emotionale Nähe überzeugend wirkt.

Es ist schwer vorzustellen, dass Clemens Meyer zum Sonnenschein-Autor mutiert, das wäre auch schrecklich. Dennoch würde ich das übernächste Buch nicht mehr lesen, wenn die kliescheehafte Fixierung auf Schlechtigkeiten beherrschend bleibt.

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Sommerfestival in Sichtweite

Am ersten Juliwochenende gibt es in der Distillery das erste Livelyrix-Sommerrfestival Leipzig. Auch wenn es etwas unpersönlich wirkt, gebe ich hier mal die Presseerklärung wieder, hab sie schließlich selbst geschrieben:

Drei Tage Spokenword im Fokus

Ein neues Literaturfestival mit besonderem Zuschnitt

Seit vielen Jahren befördert der in Leipzig und Dresden ansässige Livelyrix e.V. eine spezielle Art von Literatur, die besonders bei jungen Leuten (aber nicht nur diesen) wachsende Popularität besitzt – die sogenannte Spokenword Poetry. Wie es der Name schon ausdrückt, ist dabei die Bühnenperformance der Autoren gleichermaßen wichtig wie der Text selbst, auch wenn die Texte „on stage“ und „on page“ gleichermaßen funktionieren sollen. Poetry Slams und Lesebühnen sind die bekanntesten Formate dieser Szene, Poetry Clips nach Vorbild von Musikvideos sind eine relativ neue Ausdrucksform. Livelyrix ist Organisator der monatlichen Slams und hat 2005 die große Slam-Meisterschaft des deutschsprachigen Raumes ausgerichtet. Mit dem kommenden Sommerfestival soll ein neuer Höhepunkt der Spokenword-Literatur mit überregionaler Ausstrahlung geschaffen werden. Weiterlesen

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Endlich der Durchbruch

Am Donnerstag abend fand im Chemnitzer Schauspielhaus (sic!) eine Podiumsdikussion statt, bei der es speziell um das sogenannte „Experimentelle Karree“ an der Reitbahnstraße ging. Bei einer vor einem Monat vom Lokalblatt Freie Presse organisierten Veranstaltung zu „Chemnitzer Perspektiven“ stellte sich ja heraus, dass genau diese Insel der Unzufriedenheit ein Haupthindernis bei der ansonsten erfolgreichen Stabilisierung des „sächsischen Manchester“ als Industriemetropole bewährter Art darstellt. Nun könnte man diese verschwindend kleine Minderheit von Störern schlicht ignorieren, es spricht aber für die hohe Demokratiefähigkeit von Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD), auch solch ein Widerstandsnest nicht etwa mit der zur Verfügung stehenden Exekutivgewalt einfach auszuräuchern, sondern sich in einer offenen verbalen Auseinandersetzung der Herausforderung zu stellen. Weiterlesen

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Ab zur Bewährung in die Produktion

Ein wunderbares Beispiel dafür, wie der schwiemelige Begriff „Hochkultur“, an dem ich mich immer wieder reibe, als Lanze hintergestrigen Denkens dient, lieferte die LVZ auf der Leserbriefseite vom 31. Mai. Frau Ursula Dießner aus Leipzig schreibt da voller Abscheu, dass Hartmann und Konwitschny das Schauspiel und die Oper der Stadt ruiniert haben. Es werden hier also Einrichtungen angegriffen, die traditionell zur sogenannten „Hochkultur“ gerechnet werden, sich aber nicht „hoch“ genug verhalten, also nicht den seit fünfzig Jahren gültigen Kanon des Repertoires und den gleichen gewohnten Stil der Inszenierungen weiter pflegen. Die Tempel des (spieß-)bürgerlichen Geschmacks dürfen sich um Gottes Willen nicht wandeln! Walter Ulbricht pflegte in solchen Fällen zu sagen: „Unsere Menschen wollen das nicht!“, denn bei allem revolutionären Pathos war die Führungsclique der DDR auch zutieft spießig.

Frau Dießner schreibt: „Es wäre ein Segen für die Stadt, wenn diese Herren ihre künstlerische Freiheit weit weg von Leipzig ausüben würden.“ Dass es so etwas wie künstlerische Freiheit gibt, erkennt sie immerhin an, aber doch bitte nicht hier bei uns! In Verkennung von Legislative und Exekutive fordert sie schließlich vom Kämmerer, er soll den beiden Einrichtungen die Fördermittel streichen. So ist es recht: Wenn Dissidenten nicht einsichtig werden, muss die Parteiführung endlich mal durchgreifen!

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Bloß nicht die Wahrheit sagen

Ehrlichkeit lohnt nicht. Da spricht endlich mal ein hochrangiger deutscher Politiker ganz klar aus, dass Kriege in erster Linie nicht wegen irgendeines humanitären Gewäschs wegen geführt werden, sondern um knallharte Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Und schon wird er durch die Medienmeute in den Rücktritt getrieben. Somit tut mir Horst Köhler fast schon etwas leid. Endlich mal einer, der Machiavelli gelesen und verstanden hat. Doch all die Kollegen, die sich dann entsetzt zeigten, haben offensichtlich eine bessere Schauspielausbildung genießen dürfen.

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Klarstellung

In mehreren Artikeln habe ich behauptet, die Pop-Kultur sei der sogenannten „Hochkultur“ gleichgestellt. Nun, da sich sogar die Kanzlerin veranlasst sieht, einer trällernden Gymnasiastin Blumen zu schicken, muss ich wohl etwas relativieren. Klar ist das Pop, was da am Sonnabend in Oslo vermarktet wurde, nach der Zahl der Zuschauer sogar extrem populär. Doch in Ermangelung eines besseren Begriffs umfasst Pop-Kultur eben ein riesiges Feld mit unzählbaren Facetten. Viele davon sind Nischenphänomene, für die Kulturindustrie uninteressant. Es lebe die Differenz.

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