Schwarzblasen

Vielleicht 200 Leute waren es in Leipzig auf dem Markt, in anderen Städten Sachsens weitere, die in (überwiegend) schwarzer Kleidung Seifenblasen aufsteigen ließen. Gedacht war der Flashmob, der heute genau 16.16 Uhr startete, als Protest gegen die Kürzung der Jugendhilfe um pauschale drei Prozent im ganzen Freistaat seitens des Dresdener Sozialministeriums. Geplatzte Träume als Symbol – doch träumen kann in dieser Sparte schon lange keiner mehr.

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Schein und Sein

Beim kürzlich erfolgten Zusammentreffen mit einer mir noch unbekannten Person dachte ich zunächst: Ziemlich unscheinbar. Doch dann fielen mir markante Züge auf. Ist der Mensch nun scheinbar, wenn er nicht unscheinbar ist? Anscheinend.

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Starkes Stück

Etwas eigenartig mag es erscheinen, der Frau zum Hochzeitstag Mein Kampf zu schenken. Es war aber nur eine Karte für die gleichnamige Farce von Geoge Tabori am Theater der Jungen Welt. Und das hat sich gelohnt – Inszenierung, Schauspieler, das Stück sowieso – alles ganz stark! Nächste Vorstellungen: 26. Februar, 1. März. Mehr dazu schreibe ich für ein Leipziger Monatsblatt, darum hier diese Kürze. Die Zeitungen lieben keine privaten Vorveröffentlichungen.

Nachtrag 24. März: Da der Artikel nun schon seit einer Weile veröffentlicht ist, kann ich ihn hier nun bringen:

Monster küsst man nicht

„Mein Kampf“ am TdJW

„Deine Handreichungen gefallen mir, Jude“, sagt Adolf Hitler zu Schlomo Herzl, „ich werde dir später einen Ofen kaufen.“ Darf man Witze machen über den schlimmsten Massenmörder aller Zeiten? Diese Frage wird seit Chaplins „Der große Diktator“ diskutiert. Dabei gibt jener A.H. in George Taboris Farce „Mein Kampf“ zu: „Ich mag keine Witze, ich kann mir die Pointe nicht merken.“ Ein feines Gespür für die Pointe hat allerdings Frau Tod, wenn sie meint, dieser Typ tauge nicht als Opfer, sondern als Vollstrecker.

Jürgen Zielinski hat das Stück am Theater der Jungen Welt mitreißend inszeniert. Der erste Teil vor der Pause ist ganz so, wie die Genrebezeichnung es ausdrückt – eine Farce. Der Hampelmann aus Braunau am Inn ist in einer schäbigen Wiener Absteige gelandet, weil er sich mit seinen rührseligen Aquarellen an der Kunstakademie bewerben möchte. Dass er dort in Unterhosen vortanzt, weil Herzl noch mit dem Annähen eines Knopfes an seiner Kniehose beschäftigt ist, gehört zu den Pointen, die er zu spät versteht.

Zielinski arbeitet mit grellen Effekten – ein lebendes Huhn, ein noch lebendigeres nacktes Mädchen, tote Schweinehälften an einer Seilbahn über die Bühne schwebend. Und er arbeitet mit hervorragenden Schauspielern, vor allem Stephan Wolf-Schönburg als Herzl, Sven Reese als Hitler und Anna-Lena Zühlke als Gretchen.

Im Schlußteil bleibt das Lachen immer mehr im Halse stecken. Die echten Schlächter, die ebenfalls in Frau Merschmeyers Etablissement hausen, sind nette Leute im Vergleich zu Hitlers Mitkämpfern wie Himmlischst, der das Landhuhn Mizzi ganz professionell zerlegt und brät. Der ansonsten so schlaue Schlomo hingegen glaubte all zu lange, Freundlichkeit oder gar Unterwürfigkeit sei die richtige Taktik. Sein Ratschlag für den verhinderten Kunstmaler Hitler: „Geh doch in die Politik!“ rächt sich. Leute, die nichts anderes richtig können, sollten nie Politiker werden. Eine grausame Erfahrung muss auch das verführerisch-verführbare Gretchen machen. Chuzpe allein reicht eben nicht als Waffe gegen Psychopathen, die nach der Macht greifen, Mitläufertum noch weniger. So bleibt wohl als wichtigste Aussage in dem völlig antiplakativen Stück, dass man die Leute lieber nicht daran hindert, schlechte Kunst zu machen. Das ist erträglicher, als der Griff nach der Weltherrschaft.

Da die Inszenierung am TdJW aber sehr gute Kunst ist, sollte man Karten für einen Besuch der nächsten Aufführungen besser vorbestellen.

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Mysterien des Alltags 2

Die CD als Tonträger ist ja fast schon wieder vom Aussterben bedroht. Gerade darum ist es für mich unerklärlich, warum es die Industrie in der ganzen Lebenszeit dieser Silberscheibe nicht geschafft hat, Plastikhüllen dafür zu produzieren, die auch nach dem zehnten Benutzen noch noch alle Zacken in der CD-Halterosette haben und beide Nippel des Scharniers besitzen. Das scheint eine unlösbare Aufgabe zu sein. Zwar gibt es auch Blech- oder Papphüllen, und ästhetisch gefallen die mir zumeist auch besser, aber häufig kann man nicht wählen, in welchem Material man die die neusten Hits von Beethoven, Schönberg oder Jagger nach Hause trägt. Und dieses blöde Dings, dass auch noch den hochtrabenden Namen Jewel Case trägt, geht garantiert bald kaputt.

Nein, es ist unmöglich, dass 1969 Amerikaner auf dem Mond waren. Die Menschheit ist viel zurückgebliebener als gemeinhin behauptet.

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Frostig

Vladimir Sorokin gilt ja als einer der wichtigsten russischen Schriftsteller der Gegenwart. So konnte ich nicht widerstehn, als bei Zweitausendeins sein Roman BRO für weniger als vier Euro rumlag. Nun habe ich ihn gelesen und bin etwas verschnupft.

Die Erzählweise ist ganz konventionell-linear, sogar ziemlich trocken. Zunächst werden Kindheit und frühe Jugend eines Jungen aus einer wohlhabenden russischen Familie erzählt, die sich vor und während des Ersten Weltkrieges abspielt und dann durch die Revolution aus den Bahnen geworfen wird. Nach etwa hundert Seiten kommt der Umschwung. Der junge Mann, der sich eher zufällig einer Expedition zum Tunguska-Meteoriten angeschlossen hat, bekommt Erleuchtungen. Hier  beginnt nun die Mystik, für die viele russische Autoren anfällig sind. Anders aber als etwa im grandiosen Roman Der Meister und Margarita von Bulgakow ist das Gesäusel vom Ljod des Meteoriten, welches 23.000 Auserwählten auf der Welt das Ursprüngliche Licht zurückgebracht hat, richtig öde. Dass all die neuen Heilsbringer blond und blauäugig sind, macht die Sache nicht besser. Zwar gelingt es Sorokin im letzten Teil des Buches, mit der sprachlichen Wendung ins Infantile noch eine gewisse Ironie hinein zu bringen, doch was diese Sekte letztlich will, bleibt unklar. Das steht möglicherweise in seinem anderen Roman Ljod, der zwar eher erschienen ist, aber zeitlich der Geschichte in BRO folgt. Den zu lesen habe ich aber keine Lust. Überhaupt werde ich mich künftig vor Büchern hüten, in denen der Tunguska-Meteorit eine Rolle spielt, nach dem ich mich vor einem Jahr schon mit Pynchons Gegen den Tag ziemlich rumgequält habe.

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Vorderwäldler

Drei Tage habe ich in der wintermärchenhaft verschneiten Gegend meiner biologischen Herkunft zugebracht. Als ich da in die Dorfkaufhalle kam, sah ich einen Tisch mit dem Schild „Bestes aus der Region“. Eigentlich hätte ich da Sohländer Fruchtsäfte, Neukircher Zwieback oder Oppacher Mineralwasser erwartet. Vor allem fiel mir aber ein Buch auf mit dem Titel „Panzer in oberlausitzer Wäldern“ auf. Da wurde mir gleich ganz heimatlich zumute.

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Buchmacher

Wieder einmal hat es deutlich länger gedauert als geplant. Aber nun ist es da, das neue Buch. Es geht um fünfzig Jahre Arbeit von Karl Clauss Dietel für die „Poesie des Funktionalen“.

124 Seiten, 15 Euro, ISBN 978-3-935534-19-2

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Stones vor dem Aus?

Zerfallserscheinung

Zerfallserscheinung

Fast zwanzig Jahre hing der Zungerausstreck-Sticker an unserer Pinnwand, gekauft am Rande eines Festivals auf der Radrennbahn Weißensee im Sommer 1990, bei dem zwar nicht die Jagger-Brigade aufspielte, aber Jethro Tull, Tina Turner und etliche andere, von denen ich mich damals noch beeindrucken lassen konnte. Nun, ohne äußeren Anlass, hat das solide Metallteil plötzlich die farbige Oberfläche verloren. Ich halte das für ein sicheres Anzeichen dafür, dass mit den Stones in Kürze endgültig Schluss ist.

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Bürgerdämmerung

Falls man nicht gerade vertrauliche Daten einträgt, kann der Google-Kalender ein nützliches Arbeitsmittel sein. Als Zusatzservice lassen sich da auch die Zeiten für Auf- und Untergang von Sonne und Mond anzeigen. Das schönste dabei ist: Es existieren drei Arten von Dämmerung. Neben der astronomischen und der nautischen gibt es da noch eine bürgerliche Dämmerung. Die gefällt mir am besten. Das hört sich so nach Nietzsche an. Heute zum Beispiel war 17.33 Uhr Ende der bürgerlichen Dämmerung. Wahrscheinlich müssen spätestens zu dieser Zeit alle CDU- und FDP-Wähler zu Hause eingetroffen sein.

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Zeitiger ganz feucht

Warum hat es 2008 solch einen Skandal um Charlotte Roches Feuchtgebiete gegeben, wo doch schon sechs Jahre zuvor in German Amok von Feridun Zaimoglu all das da ist, worüber sich die Rezensenten damals so aufregten? Über Sex jenseits der Missionarsstellung wird genau so intensiv wie dreckig geschrieben. Hinzu kommen Ausfälle des Ich-Erzählers, eines erfolglosen Berliner Malers, die man bei einem deutschen Autor als rassistisch, chauvinistisch und islamfeindlich bezeichnen würde. Doch so wie die Angehörigen diverser Ethnien werden auch die Ostdeutschen pauschal als dumm und hinterwäldlerisch markiert. Während diese drastischen Überzeichnungen als vorsätzliche Enzyklopädie provokanter Themen erkennbar werden, ist das hauptsächliche Sujet des Romans offensichtlich nur schonungslos realistisch dargestellt – die aufgeblasene Leere des zeitgenössischen Kunstbetriebes. German Amok ist ein bösartiges Buch. Das mag ich.

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