Heines Hacke

Da steht er, in Bronze gegossen. Mit bürgerlichem Mantel, aber eine Spitzhacke in der Hand, zwischen den Füßen ein Stück Schiene. Carl Seffner hat das Denkmal geschaffen, der über zwei Jahrzehnte meistbeschäftigte Bildhauer Leipzigs (Goethe, Bach, Kaiser Maximilian, Bürgermeister Koch und andere gehen auf sein Konto). Das Heine-Denkmal steht seit 2001 wieder am Ufer des Elsterflutbeckens. Zwischenzeitlich hat es gefehlt, da aus dem wertvollen Rohstoff Bronze Granaten zur Verteidigung der Heimat vor Stalingrad gebaut werden mussten. Zum ersten Mal konnte es 1896 eingeweiht werden. Da war Heine gerade erst acht Jahre tot.

Wer war der Mann, nach dem eine lange Straße, ein Park, ein Kanal und eine Brücke benannt wurden, und der so früh ein Denkmal bekam? Väterlicherseits mit einem Rittergut nahe Leipzig, mütterlicherseits mit Reichels Garten am Rand der Innenstadt ausgestattet, begann er 1854 dieses Erbe nicht zu pflegen, sondern umzurubeln. Dazu kam noch die Mitgift seiner Gattin Doris Trinius. Um da ran zu kommen, schrieb er ohne große Lust sogar seine Doktorarbeit der Rechtswissenschaften fertig, weil der Schwiegervater das forderte. 28 Seiten. Die Anforderungen an solche Gratifizierungen waren damals wohl etwas gemäßigter als heute. Substanziell ergiebig soll das Werk zum Wasserrecht trotzdem gewesen sein. Und sinnvoll für sein weiteres Wirken. Weiterlesen

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Ich nerve. Gern geschehn.

Was für ein dummer Artikel für eine Zeitung mit einem erarbeiteten Image als intellektuelles Blatt. “Atheisten nerven” nennt er sich. Ausgabe 47/2018, Seite 62. Autor ist Raoul Löbbert. Zunächst gesteht er ein, bei Partys mit unbekannten Gästen nicht gern zuzugeben, Journalist zu sein. Warum eigentlich? Verkehrt er vorwiegend in AfD-Kreisen? Ich habe jedenfalls kein Problem damit, mich als Journalisten zu bezeichnen, auch wenn ich den Beruf nicht erlernt habe. Bei ihm aber kommen die Bauchschmerzen dann wohl daher, dass er ergänzend sagen muss, über Themen wie Katholizismus und Kirche zu schreiben. Damit hätte ich auch ein Problem, nur hat er sich die Themen selbst ausgesucht. Weiterlesen

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Eingeständnis eines Scheiterns

Es ist schon vorgekommen, dass ich Aufträge für Artikel in der LVZ abgelehnt habe. Aus Zeitmangel oder, wenn gerade ein Nachruf auf eine wichtige Person nötig ist, ich dazu aber aus Wikipedia kopieren müsste.

Mit all zu großer Begeisterung bin ich am Dienstag nicht in die GfZK gegangen, um mir die Schau der diesjährigen Trägerin des Preises Europas Zukunft Alex Martinis Roe anzusehen. Mit reinen Video-Ausstellungen habe ich so meine Probleme. Doch im Pressetext war auch die Rede von besonderer Ausstellungsarchitektur und Musik. Mal sehen und hören. Weiterlesen

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Der lange Sommer

Sie wollen nur Musik machen. Mehr Mainstream-Rock als Punk, wie sie es bezeichnen. Kräftige, aber alles im allem brave Musik. Ihre Idole sind David Bowie, Blondie, Lou Reed.

Mike (vermutlich heißt er Michail) ist mit seiner Band im Leningrad der frühen Achtziger schon einigermaßen bekannt, als er Vikor Tsoi trifft. Den gab es wirklich, er wurde bald zu einer Underground-Größe. Es ist die lähmende Endphase der Ära Breshnew, die Uhr scheint still zu stehen. Weiterlesen

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Der verschwimmende Schatten der Identität

Die libanesische Malerin und Schriftstellerin Etel Adnan wuchs als Tochter einer Griechin und eines Offiziers der osmanischen Armee mit Griechisch und Türkisch als Muttersprachen in einer arabisch-französisch geprägten Umfeld auf. Doch zum ersten Mal, so berichtet sie in einem Artikel der Zeitschrift Lettre International, sei sie während des Studiums in den USA gefragt worden, wie sie sich denn selbst definiere. Nach der ersten Überraschung, so berichtet die geborene Kosmopolitin, habe sie sich dann aber durchaus wohl damit gefühlt, einer bestimmten Gruppierung zuzugehören.

Identisch, so lernt man im Matheunterricht, nennt man es, wenn zwei oder mehr Dinge deckungsgleich sind, ununterscheidbar. Für Menschen scheint das schwer anwendbar zu sein. Selbst eineiige Zwillinge sind nicht absolut gleich. Dennoch hat der Begriff Identität gerade Hochkonjunktur in der politischen Debatte. Die Identitäre Bewegung ist nur ein besonders auffälliger Ausdruck dessen. Seit Beginn des Jahrhunderts ist in Frankreich die Génération identitaire aktiv, seit 2012 hat sie in Österreich, seit 2014 in Deutschland Ableger. Die deutsche IB wird vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft und beobachtet. In Halle betreibt sie nahe des Steintor-Campus der Uni eine Art inoffizielles Hauptquartier. Weiterlesen

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Eine legitime Entscheidung

Die in der Spinnerei ansässige Galerie Kleindienst trennt sich von einem Künstler, dessen politische Meinungen sie nicht teilen kann – Axel Krause. In den Medien gibt es einen Aufschrei. Nicht nur in Springerblättern wie Die Welt, sondern auch im MDR, der den ZEIT-Redakteur Hanno Rauterbach dazu interviewt hat. Andere springen gierig auf den Zug auf, so Erika Steinbach oder das rechtsextreme Portal Achse des Guten. Und deren Anhänger sind dann selbstverständlich mit „Zensur“ und „Gestapo“ schnell bei der Hand.

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Nach wie vorgeschrieben

Eine Bitte um Rezension lag der mit Buntstiften beschrifteten Postsendung nicht bei. Dennoch spürt man die Sehnsucht des Verlegers nach einer solchen. Aber wie das so ist mit Gefälligkeitskritiken ….   Man kennt Autorin oder Autor, findet sie sympathisch oder ist gar befreundet. Wie verpackt man dann die Dinge, die einem nicht so ganz gefallen?

Hans Brinkmanns neuester Gedichtband „Die Unheit“ steckte im Umschlag des Eichenspinner Verlages. Zum Glück habe ich nachgesehen, was ich zum vorherigen Buch Brinkmanns geschrieben habe. Sonst wäre vielleicht ein annähernd identischer Text entstanden. Ist ein Schriftsteller zufrieden, wenn man die Rezension in zwei Worten zusammenfasst? Gewohnt gut, könnten diese lauten. Wahrscheinlich findet er es nicht all zu schmeichelhaft. Weiterlesen

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Warum ausgerechnet Europa?

Der Text ist eine Fortsetzung meiner sporadischen Untersuchungen zum Begriff der Moderne. Vorhergehende Artikel, ohne die dieser stellenweise schwer zu verstehen ist, lassen sich unter der Kategorie „Tagebuch der Moderne“ finden.

Der chinesische Admiral und Eunuch Zheng He leitete von 1405 bis 1433, also fast ein Jahrhundert vor den großen “Entdeckern” wie Kolumbus, Diaz oder da Gama, im Auftrag der Ming-Kaiser sieben große Seereisen. Die Flotten bestanden aus bis zu 62 Schiffen (Kolumbus hatte vier bei der ersten Reise) mit bis zu 20.000 Mann Besatzung. Die größten der Dschunken übertrafen die europäischen Schiffe dieser Zeit um ein Vielfaches. Auf dem Deck wurde sogar Gemüse angebaut, so dass das Problem Skorbut nicht aufkam. Für die Navigation wurden u.a. Kompasse verwendet, eine chinesische Erfindung.

Die Liste der Innovationen, mit denen das “Reich der Mitte” Europa um Jahrhunderte voraus war, ist lang. Schießpulver und damit Feuerwaffen, Papier, Porzellan, Druck mit beweglichen Lettern, Schleusensysteme für schiffbare Kanäle etc. Manchen rechtsradikalen “Theoretikern” ist es bis heute nicht peinlich zu behaupten, die europäische Überlegenheit beruhe auf einem höheren Intellekt der “weißen Rasse”. Weiterlesen

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Managementfehler in der Denkfabrik

Dass das Cover in Schwarzrotgold gehalten ist, überrascht nicht sonderlich. Das D im Titel “Recherche D” steht aber nicht für Deutschland, sondern für Dresden, Sitz der rechten “Denkfabrik für Wirtschaftskultur”. Auf der Rückseite stehen Floskeln ohne Gebrauchswert. “Inhalte statt Marketing” etwa, oder “Gemeinschaft statt Anonymität”.
Warum aber braucht es ein straff rechtes Wirtschaftsmagazin? Dass es bei den “Patrioten” Nachholebedarf in Sachen Wirtschaftspolitik gibt, mag stimmen. “Deshalb werden wir uns publizistisch, politisch und in beratender Funktion für die Bewahrung des historisch Gewachsenen und die Erarbeitung von theoretischen und praktischen Alternativen zum Globalismus einsetzen.” Schon in diesem Satz steckt ein fundamentaler Widerspruch. Auch der Globalismus ist etwas “historisch Gewachsenes”, und das nicht erst in den letzten zwanzig Jahren. Im Editorial schiebt Chefredakteur Felix Menzel, auch als Chef der “Blauen Narzisse” bekannt, konkretere Ansprüche nach: “Wir wollen damit ökologischer als die Grünen sein, sozialer als die SPD, konservativer als die CDU, freiheitlicher als die FDP und alternativer als die AfD.” Nur linker als Sahra Wagenknecht will er nicht sein. Das beruhigt ein kleines bisschen. Weiterlesen

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Völlig rücksichtslos

Mein Vorhaben, bis zum 20. März Nietzsches Also sprach Zarathustra zu lesen, ist kläglich gescheitert. Immerhin bin ich bis zum hübschen Zitat „Wer einen Stern gebären will, muss noch etwas Chaos in sich tragen“ gekommen. Das musste als Vorbereitung und Leitlinie für das gestrige Laibach-Konzert im Täubchenthal reichen. Zuvor hatte ich noch die Ehre, den Autor Alexander Pehlemann persönlich kennenzulernen.

Vor zwei Jahren habe ich sie zum ersten Mal im Haus Auensee gesehen und gehört. Damals war ihr Albung Spectre aktuell und ihre skurrile Nordkorea-Reise war gerade passiert. Spectre fand ich für die Maßstäbe der Band ungewöhnlich gefällig. Es Pop zu nennen wäre eine Übertreibung, aber es ist doch ziemlich viel an den Kanten gefeilt worden. Trotzdem war das Konzert mit seiner Wucht des Sounds überwältigend. Weiterlesen

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