Wozu eine Poetik?

Nicht nur in der Poetry Slam-Szene erregt derzeit ein Artikel von Boris Preckwitz in der Süddeutschen Zeitung die Gemüter. Wenn etwa der Sächsische Literaturrat auf Facebook postet: „bemerkenswerter Beitrag“ klingt das so wie Wir wussten doch schon immer, dass sowas nichts mit Literatur zu tun hat! Nun kann man dem Autor keinesfalls vorwerfen, keine Ahnung von der Sache zu haben. Preckwitz gehörte zu den ersten Rampensäuen im deutschsprachigen Raum.

Neben einigen unzulässigen Pauschalisierungen wirkt deshalb sein Verdikt mit Hinweis auf Avantgarde-Strömungen, dass die Slam-Szene ja gar keine eigene Poetik formuliere, reichlich seltsam. Bei aller Kollegialität in dieser Szene kommt da niemand auf den Gedanken, es gehe um eine geschlossene Gruppe, die nun endlich mal ein Manifest in die Welt schleudern müsse. Auch wenn sich eine ziemlich große Zahl (semi-)professioneller Slammer gebildet hat, die ständig durchs Land reisen, ist doch wie in Ursprungszeiten nach wie vor ein wichtiges Merkmal des Veranstaltungsformates Poetry Slam die grundsätzliche Offenheit. Mitmachen kann, wer will und wer sich traut. Und so stellt sich in Leipzig eben ein 85jähriger, der extra aus Thüringen anreist, ebenso auf die Bühne wie ein Markkleeberger, der nach einem Skiunfall motorische Störungen, auch beim Sprechen, hat. Bei dieser fehlenden Auswahl ist keine Qualitätskontrolle möglich und nicht gewollt. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass Neulinge sofort durchmarschieren.

Womit Preckwitz recht hat, ist der starke Hang zu Comedy. Der wird selbstverständlich durch den Zwang, beim Publikum in kurzer Zeit Eindruck zu erreichen, verstärkt. Nun ist aber gute Comedy auch nicht so einfach zu machen, und ich kenne keinen Slammer, der mit Mario Barth verwechselt werden will. Und es stimmt eben nicht, dass da alles Comedy sei. Immer noch und immer wieder gibt es sehr lyrische Texte (vor allem von Frauen), ernsthafte Texte und auch Gesellschaftskritik. Wenn Preckwitz schreibt, dass in den vergangenen zehn Jahren sechs Mal Comedians den National Slam gewonnen hätten, muss er wohl auch Marc Uwe Kling dazuzählen. Zwar hat der ein Solo-Kabarettprogramm, das ist aber in Bezug auf politische Aussagen, die Preckwitz so anmahnt, gar nicht harmlos. Nicht nur mit dem Song „Hörst du mich, Josef Ackermann“ hat er schon ausreichend Ärger gekriegt.

Bei aller berechtigten Kritik an den vielen flachen, effektheischenden Slamtexten sehe ich in dem Format trotzdem zwei positive Effekte:

1. Jugendliche können für Literatur begeistert werden. Jeder Teenager steht zu irgendwelchen Bands oder Sängern, aber zuzugeben, dass man Gedichte mag, benötigt schon viel Selbstvertrauen. Durch den Slam sehen Jugendliche, dass man auch damit sowas wie ein Popstar werden kann. Die besten bleiben ja dabei dann nicht stehen, sondern schreiben später oder parallel auch „richtige“ Literatur, siehe Nora Gomringer, Jochen Schmidt, Frank Klötgen, oder machen Musik mit interessanten Texten.

2. Man wird trainiert, seine Texte gut rüberzubringen. Wie häufig habe ich schon in Lesungen gesessen, auch bei großen Namen, wo man nicht wegen der Textqualität einschläft, sondern der miserablen Vortragsweise wegen. Da ist Slam eine gute Schule.

Und darum gehört er auch in die Schule. Wenn da manche Lehrer oder Funktionäre eine Konditionierung für den Arbeitsmarkt draus machen wollen, muss man das hinnehmen. Und drüber lachen.

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Eine Antwort auf Wozu eine Poetik?

  1. GH sagt:

    Wer über Slam Poetry reden will, darf von John Cooper Clarke nicht schweigen.

    http://www.discogs.com/artist/John+Cooper+Clarke

    Viel Spaß beim Hören und nachlesen:

    http://www.johncooperclarke.com/index.php?option=com_content&view=category&id=36&Itemid=56

    Vor einigen Jahren mußte ich auf der Leipziger Buchmesse einigen Jung-Poeten diesen Namen überhaupt erstmal nahelegen.

    Aber ich verstehe ja sowieso nichts von Poesie.

    GvH

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