Auch wenn sich zweifelnde Stimmen mehren, gilt immer noch für alle relevanten politischen Kräfte in der Bundesrepublik Deutschland das Dogma, dass Arbeit einen Wert an sich darstellt, dass also die Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen eines der höchsten politischen Ziele darstellt, dem man im Falle des Abwägenmüssens schnell andere Prämissen opfert. Dem schließen sich die Grünen an, Gralshüter der Ökologie, obwohl die heutige Arbeit gigantische Ressourcen vernichtet ohne Notwendigkeit. Und es schließen sich die Linken an, soweit die Arbeit „gerecht“ entlohnt wird. Höchstens die NPD schränkt ein: Arbeit nur für Deutsche!
Wenn ein neues Werk zur Produktion spritfressender Luxuskarossen am eigenen Stadtrand gebaut wird, jubeln alle im Chor. Es werden doch Arbeitsplätze geschaffen, dann muss man die Kollateralschäden mal nicht ganz so ernst nehmen.
Solch ein Konsens über die politischen Schützengräben hinweg ist frappierend, ist doch die Idiotie des Arbeitswahns eigentlich nicht mehr zu übersehen. Doch von liebgewonnenen Gewohnheiten trennt man sich eben nicht so schnell, auch wenn die verschieden eingefärbten Liebhaber ganz verschiedene Eigenschaften ihres Objektes der Begierde schätzen. Konservative und Liberale bevorzugen den Effekt der Profitmehrung, Sozis und Grüne den Effekt der gesellschaftlichen Ruhigstellung. Und die Linken wollen heute die besseren Sozialdemokraten sein, obwohl diese doch im Reformismus 100 Jahre mehr Erfahrung haben.
Wozu dient Arbeit? Ursprünglich zur Befriedigung der elementaren Bedürfnisse. Seit Vorherrschaft des Kapital-Prinzips zudem der Mehrung des Profits für den „Arbeitgeber“. Für die „Arbeitnehmer“ steht der Effekt im Vordergrund, ein Einkommen zu erzielen, welches die Bedürfnisbefriedigung mehr oder weniger ermöglicht. Und schließlich werden auch moralische Anerkennung und eigener Stolz, etwas zu schaffen, als Argumente für das reguläre Erwerbsleben angeführt, in konzentrierter Form beispielsweise von Sarrazin.
Seit einiger Zeit häufen sich Argumente gegen den Arbeitsfetisch. Dazu gehört ein Thesenpapier der Linksjugend Leipzig. Doch das dort in den Vordergrund gestellte Argument des Rechts auf Faulheit erscheint mir nicht so sinnvoll.[1] Nicht nur politisch anders aufgestellten Leuten wird damit die Gegenargumentation vereinfacht, auch Freunde, die sich den angeblichen moralischen Eigenwert der Arbeit verinnerlicht haben, wird man damit schwer überzeugen können. Vor allem aber gibt es viel gewichtigere Argumente, die Omnipräsenz der Arbeit zu hinterfragen.
Auf ARTE lief am 19. Februar 2011 eine sehr interessante Dokumentation zur „geplanten Obsoleszenz“. Damit ist die vorsätzliche Beschränkung der Lebenszeit von Industrieprodukten gemeint. Dass durch den „moralischen Verschleiß“ ein schneller Konsumzyklus angestrebt wird, weiß fast jeder. Besonders augenscheinlich ist das bei echten Modeerzeugnissen. Dass aber in praktisch jedem Tintenstrahldrucker ein Chip eingebaut ist, der nach einer festgelegten Zahl von Ausdrucken die Meldung ausgibt, das Gerät sei irreparabel geschädigt, ist weniger bekannt. Ähnliches gilt die Akkus von iPhones und viele andere existenziell wichtige Teile technischer Geräte. Glühbirnen könnten seit langem so hergestellt werden, dass sie 100 Jahre Dauerbetrieb aushalten, Damenstrümpfe könnten zumindest einige Monate halten. Diese Technologien sind bekannt, aber unerwünscht.
Spätestens seit dem New Deal, der zur Bewältigung der Großen Rezession der frühen 1930er Jahre in den USA durchgesetzt wurde, gilt: Nur ein Produkt mit begrenzter Lebenszeit ist ein gutes Produkt. Bedürfnisbefriedigung ist für das Kapital keine wichtige Größe, sondern Konsum. Und der flutscht eben nicht so gut, wenn das Verkaufte ewig läuft. Und die Beschäftigten haben ja auch einen Nutzen davon: Arbeit! Ohne das damit verdiente Geld könnten sie sich doch keine neuen Strümpfe, Lampen, Drucker kaufen! So haben alle was davon.
Diese Logik wirkt pervers, sobald man seinen Standpunkt ein klein wenig neben den Zwang der Kapitalverwertung stellt. Darum ist es nachvollziehbar, dass immer mehr Menschen sich als Kapitalisten fühlen sollen – Millionen Selbstständige schaffen es kaum, mit dem Ertrag ihrer 60-Stunden-Woche auch nur die Miete zu bezahlen. Aber sie sind frei, Träger des Systems, haben Arbeit und tragen den Stolz auf die Resultate ihres Wirkens ins Gesicht geschrieben. Anders als die vielen Empfänger von Transferleistungen.
Seit langem wird deutlich mehr hergestellt, als verbraucht. Die von Marx beschriebenen zyklischen Krisen der Überproduktion sind zur täglichen Normalität geworden. Wie viele Autos braucht die Menschheit wirklich? Wesentlich weniger, als mit einem enormen Verbrauch an materiellen Ressourcen, Energie und Arbeitskraft hergestellt werden. Um die Überproduktion trotzdem teilweise zu verkaufen, sind Heerscharen sogenannter Kreativer in Werbeagenturen berufstätig, um die Notwendigkeit des Erwerbs zu suggerieren. Was trotzdem übrig bleibt, wird wiederum unter hohem Aufwand vernichtet. Dieses Prinzip gilt für eine Vielzahl von Industrieprodukten. Und – legt man einen weltweiten Maßstab an – sogar für Nahrungsmittel, obwohl Millionen Menschen (ver)hungern.
Es gibt etliche Berufsgruppen, deren Arbeit keine Werte produziert, die der Allgemeinheit nützen könnten. Was produziert ein Börsenmakler? Und ein Politiker, egal welcher Partei? Ein Steuerberater? Damit sind nur einige der gutverdienenden Berufsgruppen benannt, viele schuften sich aber am Rande des Existenzminimums ab, um Leistungen irgendwie zu veräußern, die eigentlich keiner braucht.
Ungeachtet aller moralischen Kategorien kann es sich die Menschheit schon lange nicht mehr leisten, Produkte herzustellen und dann wieder zu vernichten, für die kein Bedarf vorliegt. Der Energie- und Rohstoffverbrauch ist absolut unverantwortlich. Das soll kein Plädoyer für einen Armuts-Kommunismus sein. Technologischer Fortschritt ist sinnvoll, auch die Verbesserung der Lebensverhältnisse aller. Doch die Produktivität der Weltwirtschaft ist heute eben wegen des Fortschritts der Technik so weit, dass mit wesentlich weniger Arbeit viel mehr Bedürfnisse befriedigt werden könnten, wäre da nicht die Spirale der Vernichtung von vermeintlichem Überfluss immanent.
Zeitgemäße linke Politik sollte sich kritisch gegen jede Meinung stellen, Arbeit sei ein Wert an sich und in jedem Falle zu unterstützen. Was könnte stattdessen getan werden, um nicht nur das „Dagegen!“-Schild hochzuhalten? Hier ein unvollständige Liste von Vorschlägen:
– Kraftvolle Unterstützung der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Es ist hier nicht der Platz, auf die ständig wiederholten Gegenagumente einzugehen. Dazu finden sich im Internet fundierte Berechnungen und Strategien.
– Initiierung oder Unterstützung von Gesetzesinitiativen, die „geplante Obsoleszenz“ in Verbindung mit effektiver Kontrolle verbieten.
– Förderung aller Initiativen, die kostenfreie Bereitstellung von Leistungen und Produkten anstreben. Dazu gehören die zumeist mit einem „Open“ titulierten Aktivitäten im Internet, die Wissen und Fähigkeiten ohne Gegenleistung zur Verfügung stellen.
– Unterstützung jedes bürgerschaftlichen Engagements mit Gemeinnutzen.
– Förderungen aller Arten von Produktion, die das Kapitalprinzip unterlaufen, dazu gehören beispielsweise Tauschringe, Bürgergärten und Selbsthilfeorganisationen. Ansatzweise sind auch Genossenschaften solche Organisationen, die sich nur begrenzt dem Markt unterwerfen.
Schon heute gibt es sehr viel Menschen, die freiwillig und ohne Entgelt Leistungen erbringen. Dazu gehören nicht nur Ehrenamtler in den vielen Vereinen. Mindestens genau so wichtig sind alle, die beispielsweise ihr Wissen in Plattformen wie Wikipedia einspeisen, freie Software entwickeln oder Daten kostenfrei zur Verfügung stellen. Sie erbringen Leistungen, für die innerhalb des offiziellen Systems hohe Honorare gezahlt werden. Dadurch sind schon manche bisher höchst profitable Wirtschaftszweige wie die Musikindustrie faktisch zusammengebrochen. Produktive Tätigkeit ist ein Wert – nicht Lohnarbeit, egal ob im Angestelltenverhältnis oder als angeblicher Selbstständiger.
[1] It´s the Arbeitsfetisch, stupid! Papier zur Zukunft der Arbeit und zur Kritik des Arbeitsfetischs. Hg. vom Jugendverband Linksjugend Leipzig 2011.
An einigen Stellen netter Artikel, vor allem das die Bedeutung von „geplanter Oboleszens“ dargestellt wird. An anderen Stellen aber nicht so treffsicher:
„Wozu dient Arbeit? [..] Seit Vorherrschaft des Kapital-Prinzips zudem der Mehrung des Profits für den „Arbeitgeber“.“
-> Das stimmt nicht. Es geht nicht darum, dass ein etwaiger Arbeitgeber für sich selbst „mehr Profit“ schaufelt, von dem er sich dann ein schönes Leben machen kann. Es geht um das Kapitaleigene Verwertungsinteresse, die Erfüllung des Selbstzwecks der Akkumulation.
„Förderungen aller Arten von Produktion, die das Kapitalprinzip unterlaufen, dazu gehören beispielsweise Tauschringe[..]“
-> Inwiefern unterlaufen Tauschringe das Prinzip?
Ja, es stimmt. Es geht tatsächlich um die Akkumulation, nicht um den privaten Genuss des Unternehmers. In diesem verbrauchenden Sinne gab es Profit ja schon immer. Das muss tatsächlich deutlicher ausgedrückt werden.
Und Tauschgemeinschaften mit Austausch 1 zu 1 schaffen eben keinen „Mehrwert“, der akkumuliert werden kann. Allerdings halte ich dies für nicht all zu wichtig. Eine Rückkehr zur Naturalienwirtschaft wäre ja eine Illusion. Wichtiger sind zuvor genannte Punkte.
Der Tausch „schafft“ doch aber nie Mehrwert, der Tausch ist immer ein „gleicher“ Tausch. Tauschgemeinschaften vollziehen den gleichen Tausch wie andere auch, nur eben ohne das praktische Allzweck-Äquivalent Geld.
Alles in allem finde ich Grundeinkommen, Open Source und Genossenschaften ja auch ganz nett, aber sie „unterlaufen“ das Kapitalprinzip nicht, ebensowenig schaffen sie es aus sich heraus ab.
Zum letzten Punkt bin ich anderer Meinung. Die Musikindustrie ist durch die (nicht durchweg legale) Verbreitung von Tracks im Internet weitgehend eingebrochen. Filmindustrie und, etwas abgeschwächt, Verlage kämpfen mit dem gleichen Problem. Und wenn Open Source-Software weiter an Professionalität gewinnt, dann tut das auch den Riesen dieser Branche richtig weh.
Nun betrifft das bisher praktisch nur immaterielle Güter, allein davon kann aber niemand leben. Bei materiellen Produkten gibt es nur Ansätze dafür, die noch nicht überzeugen: http://www.freitag.de/kultur/0809-mach . Aber wer hätte denn vor 20 Jahren die gesellschaftlichen Auswirkungen des Internet so vorausgesehen?
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