Der Heilige Nagel zu Wien

Es soll nicht zur Manie werden, hier die Artikel des österreichischen Neo-Nazis Georg Immanuel Nagel zu zerpflücken. Dafür ist er wirklich zu unbedeutend. Doch sein bisher letzter Text in der Blauen Narzisse ist zu köstlich, um ihn einfach so vorbeirauschen zu lassen. Diesmal geht es um kein spezielles Thema wie die Legitimierung von Angriffskriegen oder die Brandmarkung von Fair Trade. Nein, Nagel hat diesmal das große Ganze im Blick. Und das ist mächtig gewaltig groß. Zeitenwende! Unter dem geht es nicht. Und im Untertitel: Der Geist der Alt-Right. Na ja, schon da könnte man einhaken. In diesem Kontext von Geist zu sprechen, ist durchaus gewagt. Zumal es wenige Zeilen weiter heißt: Ihr Ungeist wird restlos ausgemerzt werden. Damit sind die sogenannten 68er gemeint. Ich war damals zwar nur sieben Jahre, zähle mich aber freiwillig zu den Auszumerzenden.


Nachdem ich mich auf der FB-Seite der Blauen Narzissten kurz zum Elaborat geäußert hatte, kamen natürlich Gegenreaktionen. Am geistreichsten ist diese:

Michael Nicolai
Michael Nicolai du argumentierst aus deiner ideologischen Hypnose heraus.Wertlos. Phrasendrescherei…“mit jedem….“ ja, ja gaehn…du hast dein Argument vergessen Schatz, du „argumentierst“ rein emotional, wie eine Fotze

Na ja, keine Argumente zu haben sagten mir auch andere Kommentatoren neben Fotzen-Horcher Michael Nicolai. Stimmt irgendwie. Wie soll man auch ernsthaft argumentieren gegen Sätze wie Wir jedoch sind die Lieblinge der höheren Mächte, ihre Champions, welche die Sendung haben das Heilige und Erhabene wieder in die Welt zu bringen. Unsere Generation wird sich erheben und ein neues Goldenes Zeitalter, ein aurea aetas des Übermenschen einläuten. Rationale Argumente wirken da so wie ein Versuch, einem Kreationisten die Evolutionstheorie zu erklären oder Kim Jong Un überzeugen zu wollen, dass sein Friseur ein Versager ist.

Nagel nimmt den Duktus eines alttestamentarischen Propheten ein und donnert: Wir nehmen uns jetzt das, was uns zusteht und machen dabei keinerlei Kompromisse. Wir haben Vertrauen in höhere Mächte und sind beflügelt vom Geist der Auserwähltheit, denn wir sind bestimmt dem neuen Zeitalter voranzuschreiten. Es ist jetzt unser natürliches Recht zu herrschen, denn wir sind stark und unbeugsam. Und etwas später: Wir sind die letzte Generation des alten, verkommenen und dekadenten Europas und die erste Generation des neuen Europas. Die Geschichtsschreibung ferner Epochen wird die Überlieferungen unseres Wirkens als ein mythisches, heroisches Zeitalter betrachten und uns als Helden verehren und den Führern unserer Bewegung zahlreiche Statuen errichten. Da fallen mir tatsächlich keine Argumente ein. Der Prophet hat gesprochen. So sei es denn. Dass mich Helden und Führer einfach ankotzen, ist ja tatsächlich kein überzeugendes Argument, sondern mein persönliches Defizit. Führer Nagel befiehl, wir gehorchen! würde mir wirklich nie über die Lippen kommen. Lieber lasse ich mich kreuzigen oder deportieren.

Doch Moment mal. Gibt es in diesem wirren Konglomerat aus superverkitschten Nazi-Versatzstücken keine Ansatzpunkte für Argumente? Wohl doch. Das geht los mit dem schon in der Überschrift angedeuteten angeblichen Schulterschluss zwischen amerikanischen Alt Right und diversen europäischen Rechtsradikalen. Schon vor Kurzem jubelte er: Alt-Right siegt in Charlottesville. Was ihm zu der Euphorie verleitet, muss für denkende Menschen unklar bleiben. Dass er sich über den Tod einer Gegendemonstrantin des Nazi-Mobs freut und das als Sieg feiert, ist die eine Sache. Dass aber amerikanische Rechtsradikale keine natürlichen Freunde deutscher oder österreichischer Nazis sein können, übersteigt sein Verständnis. Er sieht Hakenkreuz-Flaggen und meint, da Freunde zu haben. Wenn aber Trump, der Freund von Alt-Right, sagt: America first!, dann meint er das auch so. Da interessieren ihn Interessen europäischen Nationalisten nicht im Geringsten.

Die 68er sind die schlimmste Generation in der Geschichte des Abendlandes. Sie und die von ihnen an die Macht gelassene globalistische Oligarchie sind wörtlich an allem Schuld. Ohne sie wäre unser Leben herrlich. Warum nun ausgerechnet die antikapitalistischen Linken eine globalistischen Oligarchie an die Macht gelassen haben sollen, ist Nagels Geheimnis. Wörtlich muss man ihn aber nehmen, wenn er die 68er – wen immer er auch dazu zählen mag – für schlimmer hält als die vorherige Generation eines Hitlers, Mussolinis, Francos etc. Das ist Verharmlosung und auch Apologetik des Nationalsozialismus und anderer Faschismus-Varianten. Klar doch Nagel, der Kampf um die Gleichberechtigung von Frauen und Nicht-Weißen, die Entkriminalisierung von Homosexuellen, die Verurteilung des Vietnamkrieges und die Forderung ´nach einer echten Entnazifizierung der BRD, das war natürlich viel schlimmer als Auschwitz und der wahnsinnige Eroberungs- und Vernichtungskrieg Hitlers. Habe verstanden.

Wir werden gründlich aufräumen und ganze Arbeit leisten. Achtung vor dem Alter ist nur in einer traditionellen Gesellschaft am Platze. Die 68er haben sich jedoch außerhalb unseres Volkes gestellt und gelten nicht als Teil von uns. Sie und ihre kriecherischen Nachfolger sind der absolute Feind, den zu überwinden einer Erlösung gleichkommt. Hallo Übermensch Nagel: Ich gehöre zu den “kriecherischen Nachfolgern”, habe darum schon eine sagenhafte Angst vor dem Vernichtungsfeldzug. Musste gerade die Unterhose wechseln, weil ich mir spontan eingeschissen habe, als ich im Internet das Porträt des heiligen Vollstreckers Georg Immanuel Nagel sah. Grausam!

In Tausend Jahren wird man mit Verwunderung, Abscheu und Ekel auf die 68er sehen und in ihnen das niederste erblicken, was die Menschheit jemals hervorgebracht hat. Die Epoche von 1789 bis zur gegenwärtigen Zeitenwende wird man als eine dunkle Ära des Wahnsinns und der Würdelosigkeit betrachten. Moment mal, übergroßer Führer und Vernichter. Die 68er sind also auch an der Französischen Revolution schuld?  Interessant. Wahrscheinlich gibt es eine neue Folge von Zurück in die Zukunft, die ich noch nicht gesehen habe, wo dieses rückwirkende Eingreifen erläutert wird.

Warum fällt es mir nur so schwer, diesen Text ernst zu nehmen? Beim ersten Lesen dachte ich wirklich, es handele sich um Satire. Doch die Kommentare sowohl direkt auf der BN-Seite als auch ihrem Facebook-Ableger zeigen, dass die Nagelisten begeistert sind von diesem Aufruf zum Endkampf.

Auf das Gelaber von der Spiritualität des sagenhaften Urvolkes etc. will ich hier nicht weiter eingehen. Da frage ich mich nur, wie manche Leute es schaffen, ihre Pubertät bis über 30 auszudehnen.

Die zahlreichen antieuropäischen Kampfbegriffe wie „Rassismus“, „Antisemitismus“, „Islamophobie“ usw. haben jede Kraft über uns verloren. So einfach ist das. Da wird ein Begriff als antieuropäisch erklärt, damit existiert er praktisch nicht mehr. So? Hat nicht Nagel in seiner Eloge auf die Nazis von Charlottesville selbst das Attribut rassistisch gebraucht? Doch, hat er, in Bezug auf die Bewegung Black Lifes Matter. Leute, die gegen die Polizeiwillkür Farbigen gegenüber protestieren, sind dann also doch Rassisten? Böse Falle, Nagel.

Auch in einem anderen Punkt widerspricht er sich selbst. Bis vor kurzem noch Propagandist des Ethnopluralismaus, der Nationalstaaten mit säuberlich sortierter Bevölkerung will, spricht er nun plötzlich von einer paneuropäischen Gemeinschaft. Die EU meint er damit garantiert nicht. Vielmehr schwebt ihm eine Neuauflage des Römischen Reiches vor. Nur ohne Rom als Zentrum. Die Machtzentrale soll wohl eher in Wien oder Berlin, äh Germania, liegen. Und alle nicht´germanischen Mischpoken schauen huldvoll zum Olymp auf dem Prenzlauer Monarchenhügel auf.

Lohnt es sich eigentlich, sich mit dem Macht- und Vernichtungsfantasien eines Durchgeknallten zu beschäftigen, der auf die Couch eines Wiener Psychotherapeuten gehört, da er eine grausame Kindheit hatte? Immerhin findet er eben immer wieder Platz für seine Ergüsse in der Blauen Narzisse und anderen rechtsradikalen Postillen. Und die Reaktionen zeigen, dass es einige Leute gibt, die daran glauben. Danke an den Autor.

Zum einen für seine klaren Worte und auch für seine dezidierte Sprache. Herrlich! Liest man leider auch hier auf dieser Seite viel zu selten. Die anderen Schreiber sind mir etwas zu angepasst, brav. Nicht so Herr Nagel – und dafür 1000 x Danke. schreibt irgendein Frank. Und eine Carmen Linares meint auf FB: Unendlich wohltuend und stärkend , diesen Geist zu spüren … Wir sind viele. Aha. Ich gehe jetzt erst einmal ein Bier trinken. Es dürfte ja eines der letzten sein, dass ich vor meiner grausamen Nagelung noch genießen kann.

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