Caroline Fourest setzt sich scharf mit den linken Identitären auseinander
Sie ist Frau, lesbisch, links. Eigentlich könnte es sich die Französin Caroline Fourest bequem in der Opferrolle einrichten und rumjammern. Doch sie hat schon zu viele Idiotismen der dogmatisch-linken Identitären erlebt und über noch viel mehr sorgfältig recherchiert und legt mit Generation beleidigt eine scharfe Abrechnung mit diesen Sektiererinnen und Sektierern vor.
Gestern kämpften Minderheiten gemeinsam gegen Ungleichheiten und patriarchale Herrschaft. Heute kämpfen sie, um herauszufinden, ob der Feminismus „weiß“ oder „schwarz“ ist. Bei all diesem Differenzieren in immer kleiner Opfergrüppchen, die in den Wettbewerb miteinander treten, gerät die Frage der sozialen Ungerechtigkeit immer mehr in den Hintergrund, auch wenn gerade von Leuten, die wohl Marx nie gelesen haben, der Begriff Klassismus als neuester Scheiß in die Welt gesetzt wurde. Caroline Fourest sieht diese neue Spaltung als einen Generationenkonflikt. Kann sein, das würde aber nichts Gutes bedeuten. Bei dem Konflikt um Wolfgang Thierses Äußerungen deutet sich solche ein Kampf Alt gegen Jung aber tatsächlich an.
Fourest führt eine Vielzahl an Beispielen für inquisitorischen Verhalten an gegenüber Personen, die eigentliche natürliche Verbündete der Beleidigten sein sollten, aber heftiger angeprangert werden als Rechte und tatsächliche Privilegierte und Patriarchen.
Es ist eine Gemengelage zwischen Poltical Correctness, Cancel Culture und dem Vorwurf der „Kulturellen Aneignung“. Auf diesen geht Fourest besonders ausgiebig ein. Darf ein Weißhäutiger Rastalocken tragen? Wenn man das verneint, müsste der größte Teil der Jazz- und Rockmusik auch verboten werden. Es gibt viele Stars aus Musik und Film, die bei solchen Vorwürfen schnell einknickten und sich tränenreich entschuldigten. Manche taten es nicht. Das muss man sich durch seine Prominenz (und entsprechende finanzielle Absicherung) aber auch leisten können.
Linke Identitätspolitik ist durch und durch elitär. Will man ihr huldigen, hat man zu wissen, was WASP, TERF, LGBTIQA* oder BIPOC im vollen Wortlaut ausgesprochen bedeutet. Und man muss sich stets informieren, welches Sonderzeichen im Moment gerade für das korrekte Gendern steht. Das Sternchen soll ja schon wieder Auslaufmodell sein, weil automatische Vorlesesoftware für Blinde es nicht richtig interpretiert.
Viele Ereignisse dieser Identitätspolitik kenne ich nur aus Medienberichten, vornehmlich aus den Sozialen Netzwerken. Nicht so Caroline Fourest, die vieles selbst erlebt hat, Vorträge in amerikanischen Universitäten manchmal nur unter Polizeischutz halten konnte. Oder auch gar nicht.
Das französische Original des Buches ist vor einem Jahr erschienen. Da war in den USA noch der Psychopath Trump an der Macht, der für manche linke Identitäre ein geringeres Übel war als Universitätsmitarbeiter, die einen falschen Ausdruck benutzen, der doch bekanntlich vorige Woche zum Tabu erklärt wurde. So können einige neueste Volten noch nicht im Buch drin sein, etwa der „Skandal“ um die Übersetzung von Gedichten Amanda Gormans durch eine hellhäutige Niederländerin. Oder die direkte Anprangerung zweier Professoren der Universität Grenoble (einer davon ein mit einer Muslima verheirateten Deutscher), die über den Begriff Islamophobie tiefgründig diskutieren wollten.
Fourest ist in der Wahl der Ausdrücke nicht zimperlich. Dass sie schon im Untertitel von Identitären spricht, ist Absicht. Diese Bezeichnung hat eigentlich eine rechtsextreme Jugendbrigade für sich gewählt. Wenn die Autorin das auf Linke anwendet, kommen sicherlich gleich Hufeisen geflogen. Doch das plumpe Hufeisenargument ist genau so stumpf wie die behauptete Nazi-Keule der Rechtsextremen, also wirkungslos.
Und Fourest spricht immer wieder von Inquisition. Hier gibt es aber einen ernst zu nehmenden Unterschied zur historischen Inquisition. Diese war von Staat und Kirche (damals fast identisch) legitimiert. Die heutigen Inquisitorinnen und Inquisitoren haben keinerlei Autorität. Das hindert sie aber nicht daran, besonders aggressiv aufzutreten.
Was tun? Manche meiner Kontakte in Sozialen Medien hängen dieser Strömung an, reagieren gereizt auf Kritik. Andere sind erschrocken, darunter solche, die vor wenigen Jahren noch das Ausradieren eines Gommringer-Gedichtes an der Wand einer Berliner Hochschule richtig fanden. Man solle das einfach ignorieren, sagen manche. Aber wenn dann wieder Menschen durch aufgehetzte Fanatiker ermordet werden, posten sie in ihren Accounts „Je suis …“
Es ist Widerstand notwendig. Diese Inquisition ist lebensgefährlich, es geht nicht mehr um Symbolpolitik. Viele Journalistinnen und Journalisten oder Professorinnen und Professoren haben durch die Hetze ihren Job verloren, andere aber auch ihren Kopf. „Ohne einen Aufschrei wird ihr kultureller Sieg vollständig sein“, schreibt Fourest schon in der Einleitung. Dieser Aufschrei ist dringend nötig. Sonst wird jedes linke Politikprojekt obsolet.
Caroline Fourest
Generation beleidigt. Von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei. Über den wachsenden Einfluss linker Identitärer.
Edition Tiamat 2021. ISBN 9 783893 202669