Das wird man doch mal sagen dürfen – spätestens seit Sarrazins Pamphlet dient die Berufung auf Meinungsfreiheit dafür, Dämme einzureißen, Hass und Hetze als legitime Meinungen auszugeben. Will man nicht dazu gehören, muss man sich immer öfter und immer intensiver überlegen, was man sagt und wie man es sagt. Denn von der anderen Seite werden permanent neue Tabus und neue Grenzlinien des Sagbaren postuliert. Vermintes Gebiet auf zwei Seiten, dazwischen ein schmaler Grat.
Ich habe auch schon persönlich Aufforderungen erhalten, zu schweigen. Wenn da ein mir persönlich nicht bekannter Bernd Krüger in meinem eigenen (!), nicht sonderlich stark frequentierten Blog kommentiert, ich soll es doch besser sein lassen, etwas zu schreiben, kann ich nur zurückholzen. Und auch wenn ein selbsternannter Kunstkritiker rumgackert, ich dürfe keine literarischen Texte veröffentlichen, kommt mir ein genüssliches Grinsen. Irgendwann werde ich eine Hymne auf ihn verfassen.
Anders sieht es aus, wenn Personen, mit denen ich mich in vielen Dingen eher auf einer Seite sehe, Postulate des (Un-)sagbaren aufstellen. Friendly Fire sozusagen. Es ist einige Monate her, als einer meiner FB-Kontakte einen nicht ganz frischen Artikel eines sogenannten Linkskommunisten neu verlinkte, in dem jede Kritik an Israel als antisemitisch gebrandmarkt wurde. Als ich kommentierte, dass ich mich nicht an diese Vorschrift halten werde, kam gleich die Bemerkung, ob ich Pegida-mäßig rumnölen wolle. Dämlicher geht’s nicht, jemandem die Meinung verbieten zu wollen. Ich habe nicht das Bedürfnis, häufig was zum Nahost-Konflikt zu sagen, habe das wohl zuletzt auch vor etwa vier Jahren getan. Aber ich will es mir nicht verbieten lassen. Wenn dann ein anderer FB-Kontakt, ein Chemnitzer Liedermacher, schreibt, er verzichte freiwillig auf irgendwelche Äußerungen zu diesem Thema, scheint das zunächst sein persönliches Ding zu sein. Aber ist Selbstzensur nicht immer ein Einfallstor für offizielle Zensur und eine Bereitschaftserklärung, sich gegebenenfalls dieser zu unterwerfen?
Als es beim G20-Gipfel in Hamburg Gewaltexzesse gab, schrieb ich einen Redakteur des Sprachlos-Blog an, ob er das nicht rechtfertigen wolle, so wie an gleicher Stelle schon im Vorjahr ähnliche Ausschreitungen in Leipzig verharmlost und verteidigt wurden. Neben einer harschen Zurückweisung folgte etwas später ein Post jenes Redakteurs. Unter Verweis auf offenbar hochgetriebene Verletztenzahlen bei den Polizisten meinte er: Wer noch von linker Gewalt reden will, soll das leise tun. Problem gelöst. Die Polizei lügt, also wäre es auch eine Lüge, noch zu behaupten, dass es linke Gewalttäter gibt. Es gibt aber diese Idioten, wie zuletzt bei der Frankfurter Buchmesse, welche die Erwartungshaltungen der Neonazis bereitwillig erfüllen. Und ich werde nicht leise darüber reden, selbst wenn ich dann wieder mal als Jesse-Anhänger verunglimpft werde.
Mich nicht persönlich betreffend, aber gerade wegen der Verallgemeinerung problematisch, war vor kurzem die Auseinandersetzung um Eugen Gomringers Gedicht „Avenidas“ an der Fassade einer Berliner Hochschule. Der Studentenrat sah darin Sexismus, also wurde es übertüncht. Ich bin kein Fan der Konkreten Poesie im Allgemeinen und Gomringers im Speziellen. Aber wenn hier aus einem „Admirador“ ein potenzieller Antänzer und Vergewaltiger gemacht wird, muss man sich generell fragen, was man noch sagen und schreiben darf. Hier handelt es sich nun tatsächlich um Zensur. Denn nicht Personen ohne Autorisierung verfügen etwas, sondern in Form der kuschenden Schulleitung eine öffentliche Institution.
Die Liste der direkten oder indirekten Sprechverbote lässt sich beliebig fortsetzen. Das ist bedenklich. In großen, als liberal geltenden Zeitungen und Zeitschriften erscheinen immer wieder mal Artikel, in denen Political Correctnes als Gespenst dargestellt wird, eigentlich nicht existierend. Das ist schlicht Blödsinn. Schon wenn man einen Antrag auf EU-Fördermittel stellt und die Sprache nicht „gendert“, war die Mühe vergebens. Auch wenn es wohl keine offiziellen Gesetze gibt, sind Sprachregelungen allgemeine Praxis.
Sprachverbote noch nicht, abgesehen von offensichtlichen Straftatbeständen wie Volksverhetzung. Aber so wie Rechtsradikale an einer Ausweitung des Sagbaren arbeiten, bemühen sich viele Linke um eine Einschränkung nicht nur des Wortschatzes, sondern auch der Themen, zu denen sich jeder äußern darf. Beides ist fatal.
Mir steht keine Karriere mehr bevor, nicht beruflich, nicht künstlerisch oder als begehrenswerter Lover. Perspektivlosigkeit befreit. Ich sehe keinen Grund, mich irgendwelchen Verdikten zu unterwerfen, von wem auch immer aufgestellt.
Das hohe Gut der freien Meinungsäußerung ist zum Glück keine Einbahnstraße. Wer von ihr Gebrauch macht, sollte selbige auch ertragen können. Die Grenzen des Sagbaren müssen durch fortlaufenden Diskurs definiert werden. Danke für diesen Beitrag eben dazu.
ping
pong