Hajo Funke untersucht in einem brandneuen Buch, wo die AfD heute steht, und wie es weitergehen könnte
War die AfD irgendwann nicht radikal? Bernd Lucke und Hans Olaf Henkel waren zwar gegen den Euro und gegen die EU, aber nicht gegen einen demokratisch strukturierten Nationalstaat. Frauke Petrys Erfolg war, diese Gründer herauszudrängen, um den völkischen Nationalismus in der Partei zu stärken. Sie scheiterte dann am Ausschluss Höckes, musste selbst gehen. Sie als gemäßigt zu bezeichnen, fällt aber auch im Nachgang schwer.
Der Politikwissenschaftler Hajo Funke hat bereits vor zwei Jahren ein Buch über die AfD verfasst, dessen Titel „Gäriger Haufen“ sich auf ein Zitat von Alexander Gauland bezieht, den Zustand der Partei charakterisierend. Dieser Begriff taucht im Untertitel der aktuellen Publikation wieder auf: „Vom gärigen Haufen zur rechtsextremen `Flügel´-Partei.“ Da hat sich also in der Zeit seit der Bundestagswahl einiges sortiert.
Das Buch ist sehr aktuell, die Auseinandersetzungen um den Brandenburger AfD-Chef Andreas Kalbitz sind schon verarbeitet, wenn auch nicht bis zur allerletzten Volte. Eine zentrale Rolle spielen das Theater um die Kemmerich-Wahl in Thüringen und die Pseudo-Auflösung des „Flügels“ um Höcke und Kalbitz, nachdem dieser vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wurde. Einen Wendepunkt, gar ein Fanal, sieht Funke in der Demonstration in Chemnitz am 1. September 2018 nach der Ermordung eines Stadtfestbesuchers. Da fielen alle „Unvereinbarkeitsbeschlüsse“. AfD-Politiker marschierten gemeinsam mit der rechtsextremen Organisation Pro Chemnitz, Pegida, Identitären und bekennenden Neonazis. Dass bei den mutmaßlichen Lübcke-Mördern, die in Chemnitz auch anwesend waren, an diesem Tag der Beschluss für die Tat gefallen sein soll, konnte der Autor zum Redaktionsschluss noch nicht wissen. Doch er fragt genau nach, was eben diese Hinrichtung des Kassler Regierungspräsidenten und die Attentate von Halle und Hanau mit der AfD zu tun haben. Trägt sie eine Mitverantwortung? „Es war die Präsidentin der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, Erika Steinbach, deren Posting gegen Lübcke zusammen mit den Reaktionen darauf – siehe das Zeigen einer Walther-Pistole – wie ein Mordaufruf wirkte.“ Auch das Versagen von Behörden, insbesondere Abteilungen des Verfassungsschutzes, wird thematisiert.
Als treibendes Trio der Radikalisierung der AfD sieht Hajo Funke das Trio Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Götz Kubitschek. Der dritte Name muss überraschen, ist der im sachsen-anhaltischen Schnellroda den Antaios-Verlag und das Institut für Staatspolitik betreibende Kubitschek gar kein Parteimitglied. Sein Aufnahmeantrag wurde abgelehnt, als Lucke noch Vorsitzender war. Ihn als „Vordenker“ der Neuen Rechten zu bezeichnen, wie es häufig passiert, mag eine Überhöhung sein. Doch er ist der aktivste Vernetzer der „Mosaikrechten“, versucht Bündnisse herzustellen, teilt aber auch aus gegen Abweichler, die nicht radikal genug sind.
Der Verlag bezeichnet das kleine Buch als Flugschrift. Damit könnte gemeint sein, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt. Tatsächlich wären schon wenige Tage nach dem Erscheinen Ergänzungen nötig. Warum Funke kurz vor Schluss des Textes einen Exkurs zu Trump einfügt, erscheint nicht ganz schlüssig. Ein Blick nach Österreich könnte mehr zur Beleuchtung der AfD beitragen. All zu optimistisch wirkt auch das Fazit des Autors, dass die Coronakrise eine Solidaritätsperspektive eröffne. Fakt ist, dass die AfD wegen fehlender Strategien nicht aus der Krise profitieren kann, in vielen Umfragen unter zehn Prozent potentieller Wähler abrutscht. Hinzu kommt der noch bevorstehende innerparteiliche Showdown zwischen Meuthen und Kalbitz, der mit einiger Wahrscheinlichkeit zugunsten Kalbitz´ und damit auch Höckes ausgeht.
Gerade die schwindende Wahrscheinlichkeit, über Wahlen Macht zu erringen, könnte aber zu einer weiteren Radikalisierung der Rechtsextremen inner- und außerhalb der AfD führen, um notfalls über einen Bürgerkrieg einen Systemwechsel zu erzwingen. Kubitscheks Anhänger träumen schon davon.
Hajo Funke
ZDie Höcke-AfD. Vom gärigen Haufen zur „Flügel“-Partei
VSA Verlag Hamburg 2020
10,00 €, ISBN 978-3-96488-066-6