Als am 24. Februar Russland brutal die Ukraine überfiel, gab es eine sehr breite Solidarität in der deutschen Bevölkerung. Nicht ganz flächendeckend. Neonazi Martin Kohlmann, Chef der „Freien Sachsen“ begrüßte die Aggression in der Hoffnung, Putin möge später bei der ihm angestrebten Abspaltung Sachsens von der Bundesrepublik und Europa helfen. Und genauso durchgeknallte Linksextreme (ich will jetzt nichts von Hufeisen hören) wie Wagenknecht oder Dagdelen spielten bereitwillig die Rolle der Putintrolle.
Ich muss zwei eigene Irrtümer eingestehen. Bis zum 23. Februar glaubte auch ich, dass Putin zwar den Donbass annektieren wird, aber habe es nicht für möglich gehalten, dass er ohne auch nur einen Anlass zu konstruieren, das ganze Land von drei Seiten überfällt. Der zweite Irrtum (da bin ich aber mit vielen „Experten“ im gleichen Boot) war, dass er es nach dieser Brutalität schaffen könnte, die Ukraine schnell zu überrollen und einen Marionettenstaat zu konstruieren.
Das ist nicht passiert. Seine Strategie ist gescheitert. Daran mögen interne Fehler und Irrtümer mit schuld sein. Vor allem aber liegt es aber am energischen Widerstand nicht nur der ukrainischen Armee, sondern einer großen Mehrheit der Bevölkerung, sogar der russischstämmigen.
Mehr als zwei Monate sind vorbei. Aus der Region Kiew musste sich die russische Armee zurückziehen, im Osten und Süden kommt sie nicht ernsthaft voran. Die Versenkung des Flagschiffs „Moskva“ war ein besonderer Erfolg der ukrainischen Armee. Putin musste es als Sturmschaden verkaufen, obwohl nachweislich zu dem Zeitpunkt kaum eine leise Brise über dem Schwarzen Meer herrschte.
Die Solidarität mit der Ukraine in Deutschland bröckelt nicht nur. Das wäre wegen natürlicher Ermüdung erklärlich. Sie ist im Eimer. Vorige Woche veröffentlichten 28 Erstunterzeichner im TERF-Magazin Emma einen Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz. Scholz hat sich lange gegen Waffenlieferungen an die Ukraine gesträubt. Dafür wurde er heftig kritisiert, kippte schließlich um. Dagegen richtet sich der Offene Brief, zumindest vordergründig. Bei manchen Unterzeichnern wundert mich das nicht, z.B. Dieter Nuhr. Lars Eidinger schätze ich als Schauspieler, aber der lebt in seiner Kunstwelt. Bei anderen Unterschreibern wie Ranga Yogeshwar oder Harald Welzer bin ich entsetzt. Viele von ihnen bekamen gleich Interviews in diversen Medien, die Promotionmaschine funktioniert. Manche versuchen eine vorsichtige Distanzierung, andere legen nochmal nach. So Peter Weibel, der auch für sich beansprucht, der eigentliche Initiator des Briefes zu sein. In einem Interview sagt er: Die fünf Millionen oder mehr Menschen, welche die Ukraine verlassen, fliehen nicht allein vor dem Krieg, sondern sie fliehen auch aus der korrupten Ukraine. Die Menschen, die aus den Kriegsgebieten des Ostens und des Südens der Ukraine kommen, könnten ja im Norden und Westen der Ukraine Sicherheit und Schutz finden.Deutscher Intellektualismus in a nutshell.
Das Ekelerregende an dem Brief ist nicht die Ablehnung von Waffenlieferungen, sondern die ziemlich unverhüllte Aufforderung an die Ukrainer, doch endlich aufzugeben, sich unterjochen zu lassen: Die zweite Grenzlinie ist das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid unter der ukrainischen Zivilbevölkerung. Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis.Wie zynisch kann man sein? Die Bevölkerung der Ukraine hat schon unermessliche Opfer erlitten. Wie das aussieht, ist in den geräumten oder wiedereroberten Orten sichtbar. Massaker an der Zivilbevölkerung, Massenvergewaltigungen, Zerstörung, Deportationen von Millionen Menschen. Nun hört doch endlich auf, euch zu wehren! Fügt euch in das Recht des Stärkeren! Ich kotze.
Angeblich würde sich Putin mit einem wie auch immer gearteten Raubfrieden zufriedenstellen. Den gab es 2015. Da hatte er das von Russland, GB und den USA unterschriebene Budapester Memorandum von 1994 eklatant verletzt. Darin haben sich Ukraine, Belarus und Kasachstan zur Abgabe aller Atomwaffen an Russland verpflichtet für die Garantie der staatlichen Unversehrtheit. Auch wenn umstritten ist, ob das Memorandum völkerrechtlich bindend ist, hätten damals die USA und Großbritannien als Garantiemächte einschreiten können. Es blieb bei sanften Sanktionen und Beschwichtigungen. Dann kam das Minsker Abkommen, das de facto die Separatistengebiete im Donbas als verloren für die Ukraine erklärte. Für den Frieden und kein weiteres Leiden. Hat Putin das interessiert? Ja, schon. Geht doch, hat er sich gedacht. Fakten schaffen, die werden dann schon irgendwie akzeptiert.
Können die Briefunterzeichner wirklich glauben, dass sich Putin bei einem Waffenstillstand mit den jetzt eroberten Territorien zufrieden geben würde? Fast jeder Satz, den er und Lawrow in den letzten drei Monaten von sich gegeben haben, war glatt gelogen. Außer der Ankündigung, dass es nicht bei der Ukraine bleibt. Das muss man ihm glauben.
Wenn wir Waffen liefern, würden wir zur Kriegspartei, meinen die Briefeschreiber. Das könnte für Putin ein Grund sein, weiter zu gehen, auch uns anzugreifen. Ja hallo? Putin stört sich nicht an völkerrechtlichen Spitzfindigkeiten. Er braucht keinen, überhaupt keinen Grund, anzugreifen. Er macht es einfach. Euren wertvollen deutschen Arsch rettet ihr nicht, indem ihr in seinen kriecht.
Man müsse mit ihm reden. Ja ja. Das hat sein Buddy Schöder versucht. Nehammer hat sich zum Löffel gemacht. Gutteres war da, nach Kiew wurden ihm Raketen hinterhergeschickt. Heute hat Macron mit dem Zaren zwei Stunden telefoniert. Ergebnis? Nitschewo. Mit wem reden?
Ich habe seit meinem Militärdienst nicht nur eine Abneigung gegen alles Militärische, sondern sogar alles Uniformierte. Bisher habe auch ich mich als Pazifisten verstanden. Aber wenn ich gegen den Irakkrieg oder das Eingreifen in Lybien protestiert habe, war das keine Sympathiekundgebung für Hussein oder Ghadafie. Sogar im Jugoslawienkrieg war es schwieriger, Partei zu ergreifen. Die Serben als alleinigen Täter zu brandmarken, ist zu einfach.
Heute aber ist die Situation so klar wie selten in einem Krieg. Ein demokratisch strukturiertes Land, in dem es vor Kurzem einen sanften Regierungswechsel gegeben hat, und welches zu Europa gehören will, wird brutal vom Nachbarn überfallen, der die einstige Größe wiederherstellen will. Ökonomische Gründe spielen keine ernsthafte Rolle, auch keine moralischen wie die angebliche Entnazifizierung. Es ist der pure Wille zur Macht. Nichts weiter. Verhandeln? Mit wem?
Der Krieg kann nur durch einen Sturz Putins enden (optimale, aber wenig wahrscheinliche Variante) oder durch einen militärischen Erfolg der Ukraine. Zur ersten Variante können wir nichts beitragen, zur zweiten ein kleines bisschen. Die Unterzeichner des Briefes lehnen das ab. Sie wollen ein großes Volk einem Aggressor und Diktator dem Fraß vorwerfen. Alle Opfer, die die Ukrainer gebracht haben, sollen als Kollateralschäden verbucht werden. Hauptsache, uns betrifft es nicht.