Mit blutiger Nase ein Buch über die Weltrevolution zu lesen, scheint zu passen. Nur hatte ich mir die Verletzungen eben nicht im Barrikadenkampf geholt, sondern als Folge eines chirurgischen Eingriffs. Jedenfalls gehörte Auf verlorenem Posten von Slavoj Zizek (eigentlich müssen Häkchen auf die zwei Zs, macht der Editor aber nicht mit) zu meiner Krankenhauslektüre.
Der slowenische Polit-Entertainer hat sich nicht weniger vorgenommen, als einen Plan zur Rettung der Welt anzubieten. Für ihn als Neo-Marxisten geht das natürlich nur mit einer radikalen Umwälzung aller Verhältnisse. Ausgangspunkt ist natürlich, wie sich das für einen ernst zu nehmenden Philosophen gehört, eine Analyse der Lage in unserer „atonalen“ Welt. Atonal meint, dass der Grundton fehlt, das Bezugssystem also diffus geworden ist. Dieses Abhandenkommen der „großen Erzählungen“ haben die Postmodernen ja schon vor dreißig Jahren beklagt, ganz originell ist der Befund also nicht. Das Update ist denn auch selbst etwas konfus. Da ist mal von den Schwierigkeiten Europas mit der Türkei die Rede, um direkt zur chinesischen Religionspolitik zu springen und weiter zu „Polen als Symptom“ und „Spaß am Foltern?“. Der Eindruck, dass Zizek seine universelle Belesenheit ebenso wie seine Fähigkeit zu verblüffenden Schlussfolgerungen demonstrieren will und dafür die Systematik opfert, drängt sich auf. Zumindest wird es nicht langweilig.
Auch der zweite Abschnitt entspricht der von seinen Vorbildern Marx und Engels häufig geübten Vorgehensweise, andere Positionen zu demontieren. Nicht die der wirklichen Gegner, sondern nahe stehende und doch konkurrierende Theorien. Das betrifft den hierzulande nicht sonderlich bekannten Simon Critchley mit seiner Politik des nomadisierenden Widerstandes. Es betrifft in besonderem Maße Negri und Hardt, deren Empire zu einer Bibel der neuen Linken wurde. Hier scheint aber auch verletzte Eitelkeit eine Rolle zu spielen, da Antoni Negri die Werke Zizeks konsequent ignoriert. Auseinandergenommen wird sodann Naomi Klein und schließlich sogar Alain Badiou, dem das Buch immerhin gewidmet ist und auf den sich der Autor immer wieder (positiv) bezieht. Gemeinsamer Nenner der Kritik an diesen „Abweichlern“ ist, dass ihre Strategievorschläge innerhalb des kapitalistischen Systems verbleiben.
Man darf also gespannt sein, was der Meister im dritten Abschnitt mit der an ein bekanntes Lenin-Werk erinnernden Überschrift Was zu tun ist vorschlägt. Überraschung: Er plädiert dafür, der Diktatur des Proletariats eine neue Chance zu geben. Recht wortreich und verschlungen führt er aber aus, dass es nicht wirklich um das Proletariat alten Stils geht und auch nicht wirklich um eine Diktatur. Als Subjekte der weltweiten Umwälzung, den „Anteil der Anteilslosen“, entdeckt er die Bewohner der großen Slums. Warum Zizek nach dieser Prognose unmittelbar zur bevorstehenden bzw. schon laufenden ökologischen Katastrophe springt, erscheint zunächst wenig einleuchtend. Letztlich wird aber deutlich, dass er die Schadensbegrenzung in eben jenem Desaster für die erste dringende Aufgabe der Revolution hält. Das ist nachvollziehbar. Ob aber die Recht- und Besitzlosen der Elendsviertel von Sao Paulo über Lagos bis Mumbai nach der Machteroberung als erste Maßnahme radikale Umweltstandards durchsetzen, muss zunächst sehr hypothetisch bleiben.
Slavoj Zizek konnte in der Schrift noch nicht auf die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise eingehen, nur im später verfassten Vorwort wird sie angerissen. Manche Befunde, etwa der, dass heute der Begriff Kapitalismus aus dem allgemeinen Sprachgebrauch eliminiert worden seien, würden ansonsten anders ausfallen. Eigentlich gibt ihm die Krise aber recht – gravierende gesellschaftliche Umbrüche scheinen dringlicher denn je. Fukuyamas „Ende der Geschichte“ ist am Ende. Doch das fröhliche Weiterwursteln, als wäre nichts gewesen, sobald die Dow Jones-Werte auch nur leicht wieder anziehen, gibt trotzdem keinen Grund für echten Optimismus.
Slavoj Zizek Auf verorenem Posten Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2009 ISBN 978-3-518-12562-5