Der Titel Junges Europa könnte von einer Unterorganisation der EU selbst stammen, für Austauschprogramm Jugendlicher beispielsweise. Oder von einer wohlmeinenden gemeinnützigen Institution. Dass Vertreter des straff rechten Lagers solch eine Überschrift wählen, muss erstaunen.Etwas weniger überraschend ist aber die Berufung auf Guiseppe Mazzini, der in den 1830ern eine Vereinigung dieses Namens gründete, in der Italiener, Deutsche und Polen gemeinsam für eine nationale Einigung ihrer zerrissenen Länder kämpften. Bemerkenswert ist bei dieser Quelle immerhin der überregionale Charakter, doch Nationalstaatlichkeit war ja zu dieser Zeit noch ein progressives Ziel.
Neben ihren Artikeln im Internet und einer gleichnamigen Zeitschrift geben die sich selbst abwechselnd als Rechte, Konservative oder Reaktionäre bezeichnenden Autoren der Blauen Narzisse manchmal auch kleine Broschüren heraus, thematisch fokussiert. Politische Prozesse heißt eine davon. Damit sind nicht die juristischen Schmierenkomödien gegen Blockierer von Naziaufmärschen gemeint, sondern die ihrer Meinung nach ungerechtfertigte gerichtliche Verfolgung Rechtsextremer. Und Ende vorigen Jahren erschien eben Junges Europa. Autoren sind Felix Menzel, Chef der Blauen Narzisse, und der bisher dort weniger aktive Philip Stein.
Der Untertitel Szenarien eines Umbruchs deutet an, dass es nicht unbedingt um die Stärkung der Europäischen Union geht: Wer die Europäische Union erhalten oder ausbauen will, muss im Geiste alt sein. [S. 6] Abneigungen gegen die EU haben unterschiedliche politische Strömungen, und zu kritisieren gibt es an der Brüssler Bürokratie jtatsächlich ziemlich viel. Doch für diese Jungen Wilden der nicht mehr ganz so neuen Neuen Rechten geht es um Prinzipielles. Die Identität nämlich. Und die verorten sie im Unterschied zu vielen Gesinnungsgenossen nicht in einer Restaurierung der Nationalstaaten. Ein Europa der Völker soll es sein. Leider versuchen sich Menzel und Stein weder an einer Definition für Nation noch an einer für Volk. Doch diese Unbestimmtheit ist Absicht, erschwert sie doch eine Gegenargumentation. Immerhin sind sie realistisch genug, eine Wiederkehr nationaler Autarkie für unmöglich zu halten. Ihre Suche nach Auswegen aus diesem verbauten Rollback ist dann aber wieder typisch rechts, also von ethnozentrischen Prämissen ausgehend.
Den Hauptteil der Broschüre nimmt das Durchspielen von acht „Szenarien“ ein. Wer darunter Entwürfe für den konstruktiven Aufbau einer irgendwie anders gearteten Gemeinschaft der Bewohner Europas vermutet, irrt gewaltig. Die Szenarien sind keine Blaupausen für eine angestrebten Zustand des Kontinents. Vielmehr wird fiebrig spekuliert, aus welchem Anlass denn endlich der Aufstand der Massen gegen die EU zustande kommen könnte, grenzübergreifend und dennoch auf Wahrung oder Rekonstruktion einer fiktiven Souveränität ausgerichtet. Dass dieser Aufstand gewaltsam verlaufen muss, wird nicht direkt behauptet. Erhellend ist aber eine Passage im Einleitungsteil, in der über die Frage der Illegalität als Handlungsoption für aufrechte Rechte nachgedacht wird. Eine klare Antwort geben die Autoren nicht, berufen sie sich nochmals auf Mazzini und seine Genossen, die bekanntlich als Illegale verfolgt wurden: Sie geben uns die Kraft und die Zuversicht für die Aufgaben, denen sich eine identitätsbewußte Jugend stellen muß. Also: Der Untergrund wird nicht ganz ausgeschlossen.
Worin könnten nun nach Meinung von Menzel und Stein die sehnsüchtig erwarteten Anstöße für die Revolte gegen die ihrer Ansicht nach jede Selbstbestimmung erstickende bürokratische Gängelung der EU bestehen? Nummer Eins unter den möglichen Ursachen ist – tätärääää – die Homophobie! Kein Quatsch.. Zwar ist die Liberalisierung gleichgeschlechtlicher und sonstwie nicht konservativ vorprogrammierter Lebensweisen am wenigsten Anliegen der Europäischen Union, eher auf nationaler Ebene angesiedelt, doch es spricht ganz plastisch für das Weltbild der Autoren, dass sie gerade damit beginnen. Warum sie darin ein Kernproblem sehen, wird auf Seite 26 erklärt: Die Aufweichung tradierter Normen durch die Homoehe führt zu einem Identitätsverlust der Völker und gefährdet damit die europäische Einigung. Zu solch abenteuerlichen Kausalketten sind nur (r)echte Intellektuelle fähig. Bezeichnend ist ein Satz wie dieser: Die permanente Schwarz-Weiß-Charakterisierung der beiden Lebenskonzepte zeigt langfristige Wirkung und ist sicher einer der entscheidendsten Gegenspieler der traditionellen Familie. [S. 28] Will heißen: Bei den ganz Europa knechtenden Linken wird die herkömmliche Familie schwarzgemalt als das Böse. Da fällt den beiden Schreibern wieder ihr eigenes Holzschnittdenken auf die Füße, welches sie ihren Gegnern unterschieben möchten. Und Gegner haben sie viele, denn zum linken Mainstream gehören für sie auch CDU und FDP oder im medialen Bereich Die Welt und BILD. Alle gleichgeschaltet und links.
In den Szenarien des Umbruchs geht es weiter mit dem Europa der Regionen. Angesichts der Krise in der Ukraine, aber auch den Abspaltungsbewegungen von Katalonien bis Schottland, von Südtirol bis Flandern scheinen die Blauen Narzissten hier tatsächlich einen Finger in eine aufbrechende Wunde zu legen. Regionalismus ist heute politisch unterschiedlich verortet. Nicht nur die Dinosaurier ETA und IRA bezeichnen sich als links, auch manche gegenwärtigen Separatisten. Die „Volksrepublik Donezk“ hisst Flaggen der Sowjetunion. Suspekt mögen alle diese Konstrukteure neuer Grenzen sein. Auffällig am Ethnopluralismus der Neuen Rechten ist aber die illusionäre Vorstellung biologisch oder zumindest sprachlich reiner Stammesgebiete, die es in der Realität nie gab. Das läuft auf „ethische Säuberungen“ hinaus. Würden sie ihre eigenen Vorstellungen ernst meinen, müssten sie die Vertreibung der deutschen Bevölkerung im Sudetenland nach 1945 gutheißen. Oder gar für eine autonome Region der Sorben kämpfen. Tun sie nicht. Ebenso wenig sind Sympathien für die tatsächlich vorhandenen bayrischen Separatisten zu spüren. Stattdessen wird auf der Internetseite der Blauen Narzisse immer wieder vom Freiheitsringen der Südtiroler berichtet. Auf dass sie sich gemeinsam mit den ohnehin deutschen Österreichern wieder den richtigen Deutschen anschließen mögen. So geht Regionalismus von rechts. Ein paneuropäischer Staat auf Grundlage vieler souveräner und weitgehend homogener Völker und Regionen ist ein revolutionärer Gedanke, der in der jüngsten Geschichte bisher nicht realisiert werden konnte. [S. 37] Zum Glück.
Überraschend ist dann, dass als drittes Szenarium ethnische Unruhen nach Vorbild der Aufstände in französischen, britischen und auch schwedischen Vorstädten benannt werden. Die Autoren haben nicht etwa Sympathie für eben diese zumeist ethnisch verunreinigten Riots. Im Gegenteil. Die reinen Franzosen, Engländer, vielleicht auch Schotten, und die genetisch reinen Deutschen erst recht müssen durch diese anarchischen Aufstände von Leuten, die hier überhaupt nicht hingehören, endlich veranlasst werden, nach dem Kärcher-Hochdruckreiniger gemäß Sarkozy zu rufen, um das Gesindel aus dem Land, bzw. aus Europa in die umgebenden Meere zu spülen. Zur wissenschaftlichen Begründung werden Zahlen nach dem Schema „80 % der Berliner Serientäter sind Ausländer“ angeführt, im Unterschied zu ihrem Vorbild Tilo Sarrazin verzichten sie aber auf Quellenangaben, so wie im ganzen Büchlein Zitate nicht konkret ausgewiesen werden.
Weitere Szenarien im Kurzdurchlauf:
IV.: Parteien. Was soll das? Ihr wollt doch keinen Wahlerfolg, sondern den Aufstand.
V.: Wirtschaftliche Not: Klar, die eigentliche Grundlage fast jeden Aufstandes.
VI.: Décroissance: Hier wird es noch einmal spannend, nicht nur wegen des noch nicht im allgemeinen Sprachschatz angekommenen Fremdwortes. Verzicht auf Wirtschaftswachstum. Dass dies keine genuin rechte Idee ist, müssen Menzel und Stein selbst zugeben. Um aber daraus profitieren zu können, folgt die Volte: Ein wichtiger Teil der rechten Programmatik wird von den linken Strömungen jedoch weitgehend ausgeklammert: Die eigene Wehrhaftigkeit gepaart mit einer bewussten Ästhetik des Körpers.“ Das ist dann wieder so ein Satz, wo die landläufige Logik versagt. Opposition gegen den kapitalistischen Wachstumswahn muss mit Militarismus und Körperkult einhergehen? Wie meinen? Häää?
Wie in allen Verlautbarungen der Neuen Rechten wird wieder einmal deutlich, dass sie bei all der vordergründigen Kapitalismuskritik keine Ahnung haben, wovon sie eigentlich sprechen. Kapitalismus ist für sie nichts weiter als Finanzspekulation und Raffgier. Woher sollen Sie es auch wissen? Marx lesen kann ja nicht in Frage kommen.
VII: Avantgarde und Metapolitik: Um einen Umbruch vorzubereiten, braucht es jedoch lange vor dem Tag X Avantgardisten und Vordenker, die Geschichten, Bilder und Ideen in Umlauf bringen. [S. 64] Von der Eroberung der kulturellen Hegemonie – auch dies ein den Linken, speziell Antonio Gramsci, entlehnter Begriff – träumen die Neuen Rechten schon seit Jahrzehnten. Bisher mit wenig Erfolg. Doch wenn man nicht nur an Wahlerfolge von FN in Frankreich und andern rechten Parteien in Europa denkt oder aber Verkaufszahlen der Bücher eines Sozialdemokraten Sarrazin oder eines Migranten Pirincci, scheinen sie auf dem Vormarsch zu sein.
Paradox ist aber, dass sie den Begriff Avantgarde als ausgewiesene Gegner der Moderne und eines wie auch immer gearteten Fortschritts für sich beanspruchen. Da schlägt die Begriffsverwirrung wieder einmal Loopings.
Dann kommt aber noch ein Knaller in Form eines offenen Bekenntnisses zum Faschismus. Speziell die italienische Bewegung Casa Pound mit ihren Hausbesetzungen in Rom wird bewundert. Auch wenn es in der Broschüre nicht ausdrücklich so benannt wird, folgt doch die Argumentation einer in anderen Veröffentlichungen der Neuen Rechten üblichen Unterscheidung zwischen einem affirmativ verstandenen (speziell italienischen) Faschismus und einem nicht ganz so tollen deutschen Nationalsozialismus. Lieber sprechen sie noch von Hitlerismus, um das ganze System einem einzigen Durchgeknallten zuschreiben zu können. Mussolini gut, Hitler böse. Sehr aufschlussreich.
VIII: Intellektuelle Kehrtwende: Gähnen. Kein Kommentar.
So, nun sind drei Viertel des Umfanges des Büchleins mit dem Sinnieren über den möglichen Auslöser der Massenrevolte vergangen. Überlegungen, ob diese europaweiten Barrikadenkämpfe eigentlich zielführend sein werden, oder wie in der so hoffnungsvoll begonnenen Rebellion der arabischen Länder ins Gegenteil umschlagen können, fehlen.
Was aber wäre denn ein lohnenswertes Ziel? Dazu gibt es dann doch noch einige Stichpunkte im Schlussteil. Konkret:
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eine Politik zugunsten ethnischer Mehrheiten
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kinderreiche Familien unterstützen
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regionale Basisdemokratie
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Masseneinwanderung stoppen
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Euro abschaffen
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Konsumismus brechen
Das war´s? Ja. Abgesehen vom letzten Punkt findet sich dies in diversen Programmen nicht allein rechtspopulistischer Parteien wieder. Dafür dieser Aufwand? Dafür ein kontinentales Blutvergießen riskieren? Offensichtlich. Felix Menzel und Philip Stein ist jedes Mittel recht, sich an die Spitze eines ethnisch sortierten, dennoch irgendwie vereinten Europas zu träumen.
So what? Muss man dieser Knaben Wunderhorn wirklich ernst nehmen? Doch, schon. Auch wenn die Neue Rechte unterdessen sooo einen Bart hat und speziell in Deutschland auf der Stelle rotiert, zeigt doch der Zulauf für rechtspopulistische bis hin zu offen rechtsradikalen Parteien in verschiedenen europäischen Ländern wie ebenso der Entwicklung nationalistisch ausgerichteter Pseudodemokratien in Ungarn, der Türkei oder Russland, dass eine Unterschätzung dieser sich intellektuell gebenden rechtsextremen Gruppierungen gefährlich ist. Die schwülen Träumereien spätpubertiernder Jungeuropäer können bei simpel gestrickten Gemütern auf fruchtbaren Boden fallen.