Irgendwie hat er ja recht, der Chef der Blauen Narzisse Felix Menzel, wenn er beleidigt ist und deswegen Anzeige erstattet. Die Schnittmenge zwischen den Blauen Narzissten und dem Attentäter von Oslo sollte tatsächlich genauer und tiefgründiger herausgearbeitet werden als in meinem ersten Beitrag zum Thema. Den habe ich vorläufig zurückgenommen, um etwas genauer zu werden.
Zunächst mal der Unterschied: In der Blauen Narzisse wird tatsächlich nicht unmittelbar zu physischer Gewalt aufgerufen. Und in Bezug auf Breivik schreibt die BN-Redaktion, welcher Menzel vorsteht: Menzels Autor [sic!] Julian Islinger betont im aktuellen Leitartikel: „Wirklich konservativ wäre in diesem Fall das einstimmige Verurteilen dieser Tat gewesen. Wirklich konservativ wäre das Beten für die Opfer und deren Angehörige gewesen. Wirklich konservativ wäre ein Bekenntnis für den politischen Diskurs und gegen politisch-extremistische Gewalt gewesen.“ Klingt eigentlich gut, auch wenn ich persönlich vom Beten nicht so viel halte. Aber Bekenntnis zu politischem Diskurs und so, das ist schon interessant.
Außerdem gibt es aber einen Blogbeitrag, in dem das Video von Breivik, von Youtube schon lange gesperrt, zugänglich gemacht wird. Zu Dokumentationszwecken, wird betont. Wer hat denn der BN diese Dokumentationspflicht auferlegt? Und im knappen Text des Beitrages heißt es, andere hätten die Vorgänge schon besser kommentiert. Folgt man dem Link, kommt man zur Seite der Zeitschrift Sezession, für die BN-Chef Menzel auch schreibt. In dem Text ist dann unter anderem vom brillianten Blogger Fjordman die Rede. Eine merkwürdige Art der Distanzierung.
Soviel zum Unterschied. Und die Gemeinsamkeiten? Zunächst fällt das Schlagwort „Konservative Revolution“ auf. Von den meisten Medien wird dies in der Berichterstattung über das Attentat als ein Schlüsselbegriff dieses umfangreichen Manifests von Breivik genannt. Und für die Blaue Narzisse ist er das ebenfalls. Zufall? Wohl kaum. So verbreitet ist die paradox erscheinende Wortzusammenstellung nicht, dass sie zum allgemeinen Sprachschatz gehören würde und jeder was anderes damit meint. Was in den 1920ern in Deutschland darunter verstanden wurde, kann man u.a. in der Wikipedia nachlesen. Dazu gehörte beispielsweise Arthur Moeller van den Bruck, der mit Das dritte Reich zumindest zum Stichwortgeber für Hitler wurde, ohne dieses Reich noch erleben zu können. Gemeinsam ist den Personen, die unter dem Begriff im nachhinein zusammengefasst werden, die heftige Ablehnung der ersten deutschen Demokratie wie auch dieser Form der staatlichen Organisation im Allgemeinen. Für diese Haltung wie auch die nahe verwandte Ablehnung von Liberalismus und offener Gesellschaft finden sich auch in der BN jede Menge Belege. So heißt es am 5. Juli 2011: Der kolumbianische Reaktionär Nicolás Gómez Dávila gehört zu den Autoren, die wir eigentlich jeden Monat mindestens einmal zitieren müssen, weil sie in wenigen Sätzen die Grundprobleme der Gegenwart zum Ausdruck gebracht haben. Dávila darf heute etwas zur Unvereinbarkeit von Demokratie und der Idee unantastbarer Menschenrechte sagen […] Und für das Problem des Liberalismus (womit nicht die Politik der FDP gemeint ist), muss wenige Tage später ausgerechnet der Freigeist Goethe als Beleg dienen.
In vielen Artikeln versuchen die BN-Autoren darzulegen, was sie denn unter Konservatismus verstehen. Die politische Richtung von CDU/CSU gehört ihrer Meinung nach garantiert nicht dazu. Das sind für sie Linke. Und sie, die BNler, sind eben Rechte. Neue Rechte oder so. Was so neu daran ist, wird selten erläutert. Denn dampft man ihre Ergüsse mal auf einen Bodensatz ein, dann bleibt nicht so viel übrig: Familie (relativ selten thematisiert), Heimat (schon häufiger) und Nation (ganz vordergründig). So neu ist das ja nicht gerade. Nun ist es gerade deshalb auch Standardvokabular bei den traditionellen Konservativen der christlich-demokratischen Parteien. Warum mögen sie diese dann nicht? Darum: Wir sollten uns nicht weiterhin durch den Kakao ziehen lassen, um unsere Sachlichkeit gegenüber einer politischen und intellektuellen Führung beweisen zu wollen, die nicht beabsichtigt sich entschieden öffentlich für oder gegen das Deutsche Volk zu bekennen. Mit den antideutschen Trittins, Kahanes, Friedmans oder Joschkas kann man noch irgendwie leben. Die machten nie einen Hehl daraus Deutschland vernichten zu wollen. Das sind Feinde. Die Todfeinde sind diejenigen, die immer ausreden haben und auf morgen vertrösten, weil sie vorgeben für die deutschen Interessen einzustehen, obwohl sie Deutschland längst aufgegeben haben. (Schreibweise wurde nicht korrigiert).
Eine Konservative Revolution kann nur eine Rolle rückwärts sein. Wohin aber? Hinter die Industriegesellschaft geht kein Weg zurück, sosehr man deren Auswirkungen auch kritisieren mag. Der Point of no return ist längst überschritten. Ein Stammgast unter den Blog-Kommentatoren nennt sich Ancient regime. Nimmt man die Vorliebe für die deutsche Romantik, die sich schon im Namen Blaue Narzisse ausdrückt, und den damit verbundenen Hass auf die Aufklärung , dann scheint dieser Nickname symptomatisch. Wahrscheinlich übersehen die BNle aber, dass im alten Staat der drei Stände kaum einer von ihnen mangels blauen Blutes eine höhere Schulbildung hätte bekommen können.
Was heute mit Konservative Revolution gemeint sein könnte, kommt in Breiviks Manifest klar zum Ausdruck: eine ethnisch homogene, westlich-christliche, autoritär geführte Gesellschaft. In Europas Mitte lässt sich dieses „Ideal“ aber noch viel weniger als in Norwegen mit „normalen“ politischen Methoden wiederherstellen, falls es so etwas wie diese Gesellschaft denn überhaupt je gegeben hätte (vielleicht auf Inseln wie Island, aber sogar da haben die Eskimos Spuren hinterlassen). Die Nationalstaaten hatten eine progressive Funktion und haben wesentlich zu der von den BNlern so sehr ungeliebten Moderne beigetragen. England hatte unter anderem wegen der frühen Konstituierung der Nation solch einen Vorsprung bei der Industrialisierung. Heute aber ist Nation ein Auslaufmodell, woran mehr die ökonomische Globalisierung als die Migration Schuld hat. Woran man diesen Begriff der Nation überhaupt festmacht, ist kaum noch darstellbar. Für einigermaßen rational denkende Menschen jedenfalls. Romantiker mögen da anders ticken, bleiben die Antwort aber trotzdem schuldig.
Somit macht sich der irrationale Hass eines Anders Behring Breivik wie auch der BN-Autoren an Subjekten fest, die man scheinbar besser definieren kann: die Anderen. Da ist dann jede Differenzierung, die sie für sich selbst beispielsweise in Abgrenzung zum historischen Nationalsozialismus so gern in Anspruch nehmen, überflüssig. So heißt es in einem Blogbeitrag von Christoph Rothämel: Denn alles das gilt nur für “Weiße”, deren Anteil an der Weltbevölkerung nicht nur relativ, sondern auch absolut sinkt, während unsere “DDR” den Fortschritt beim Umbau der Gesellschaft in eine bessere Zukunft bejubelt. Der Jude, der Türke, der Araber oder der Afrikaner kennen ihre Herkunft und sie wissen sie in unseren “offenen” Gesellschaften gegen uns “Weiße” (genauer: Germanenabkömmlinge) auszuspielen. Die Barrieren von Religion, Kultur, Herkunft und Hautfarbe und sexueller Ausrichtung, die die Einwanderer (selbstverständlich!) in unseren Ländern aufgerichtet haben und aufrichten werden, können linke Autorassisten gerne wegdefinieren. An ihrer offenkundigen Realität und der Notwendigkeit ihres Ausgreifens in dem Maße wie die unsrigen schwinden, besteht kein Zweifel.
Achtung: Es geht hier nicht um Satire, wie man zunächst vermuten könnte. Überhaupt sind Humor, Satire und Ironie bei den BNlern nicht zu finden. Das ist frappierend! Wenn Sarkasmus anklingt, dann im Tonfall bei Berichten über ihre vielen Feinde. So schreibt Felix Menzel über die „fette Qualle“ Claudia R. : Ein Gespräch mit Claudia R. lohnt sich nicht. Sie muß man beschimpfen. Diese Aussage ist nun besonders interessant im Hinblick auf das eingangs erwähnte Bekenntnis für den politischen Diskurs, zu dem man angesichts der Ereignisse in Norwegen angeblich steht. Und auch zu der Beleidigungsanzeige gegen mich! Die Argumentation ändert sich wohl, wenn sich der Wind der öffentlichen Meinung angesichts aktueller Ereignisse gerade dreht und der konservativen Revolutionären selbst ins Gesicht weht.
Bezüglich der Verdächtigung ganzer Volksgruppen ist auch dieses Zitat zur Visafreiheit für Bosnier und Albaner in die Schengen-Staaten bezeichnend: Kein Mensch ist illegal, das ist das eine. Das andere ist, wie Staatslenker Wulff erklärte, dass Deutschland zu einem Platz für alle gemacht werden soll, was als Zielstellung die ganze EU betrifft. Einen weiteren wichtigen Schritt in diese Richtung hat Brüssel jetzt gewagt: Obwohl man in Brüssel Mißbrauch erwartet, dürfen Bosnier und Albaner visafrei ins gelobte Land. Sie werden Asylanträge stellen und dürfen – hier schließt sich der Kreis -, weil sie nicht illegal sein können, hier bleiben und unser Land zersetzen.
Es lassen sich noch viele Zitate aus dem Portal der Blauen Narzisse und dem integrierten Blog anführen, um nachzuweisen, dass ihr wichtigstes Anliegen ist, Hass aus einer sehr weit rechten, rassistischen, gegen alles ihrem engen Weltbild Widersprechende zu schüren. Das ist der Boden, aus dem Leute wie ein Anders Behring Breivik ihre Argumente schöpfen. In seinem Manifest wird mehrfach die Internetplattform Politically Incorrect zitiert (auch von BN gern im positiven Sinne für Referenzen genutzt), unter anderem mit dem oben genannten „brillianten Blogger“. Die BN konnte er wegen mangelnder Deutschkenntnisse wohl nicht zitieren.
In den letzten Tagen gibt es in den „etablierten Medien“ (Sprachgebrauch der BN) viele Beiträge, die auf solche Zusammhänge des Denkens rassistischer, rechter, zumeist auch christlicher Hassprediger und dem Handeln von Einzelgängern wie Breivik verweisen. Besonders identifizieren kann ich mich da mit Robert Misik, der über Breivik schreibt: Er ist sicherlich auf viel verrücktere Weise ein Spinner, als einer, der sich Tag für Tag die Finger am Computer wund schreibt, der in Blogs vor dem “demographischen Dschihad” warnt und den Halbmond schon über Deutschland aufgehen sieht. Aber es ist auch nicht einfach so, dass der “irrsinnige” Extremist vom “vernünftigen” Extremisten durch einen Graben geschieden wäre, der eine gesund, der andere krank.
Denn schon der “normale” Extremismus lebt von der Paranoia: der Paranoia, dass wir hier alle von Moslems umzingelt sind, die nur darauf warten, uns die Gurgel durchzuschneiden, er steigert sich hinein in einen Tunnelblick und Verfolgungswahn. Weil der totale Paranoiker zum Mörder wird, ist der “normale” Paranoiker noch längst nicht vernünftig. Sondern allerhöchstens auf sehr, sehr relative Weise.
Stichwort Paranoia: Menzel behauptet in seinem Artikel zur Anzeige gegen mich erneut, ich hätte mit meinem LVZ-Artikel über BN ein Hetzjagd auf ihn und seine Leute bei der Buchmesse ausgelöst. Das passt! So wie er eben immer noch nicht die von mir zweifach eingeforderte Gegendarstellung zur paranoiden Behauptung, ich hätte ihn und den Verlag seines Buches mehrfach unter falschem Namen angerufen, geliefert hat. Können wir das dann gleich noch mit vor Gericht abhandeln, Herr Menzel?
Und auch der weder gelöschte noch gegenkommentierte Kommentar in Bezug auf meine Person ist von Interesse: Man ist ja öfters mal abends in Leipzig unterwegs, vielleicht sollte man sich ganz persönlich für die publizistische Unterstützung bedanken, wenn man ihn mal allein trifft… Wie war das noch mit der Distanzierung von physischer Gewalt?
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