Als ich im Oktober 2009 zur Vorbereitung eines Vortrages in der TU Chemnitz zum Thema „Stadt der Moderne“ Literatur suchte, um diesen allgegenwärtigen Begriff der Moderne etwas genauer zu untersetzen, war ich ziemlich erstaunt, nichts zu finden. Nicht nur im Buchladen, auch in der Nationalbibliothek, die alles deutschsprachige Schriftgut seit 1912 sammelt, fand sich nichts, das meinen Erwartungen entsprach. Die Anzahl der Treffer ist zwar gewaltig, doch fast immer geht es um bestimmte Aspekte der Moderne, vor allem aus dem ästhetischen Bereich. Also: DIY! Einige tausend Buch- und Aufsatzseiten später bin ich noch weit entfernt von einer Definition (und der Stapel der noch geplanten Literatur wächst, statt abzunehmen), doch es zeichnen sich Konturen ab.Klar scheint mir jedenfalls zu sein, dass sämtliche Bestimmungen des begriffs nicht weiterhelfen, die Merkmale aus der geistigen Shäre in den Vordergrund stellen oder gar absolut setzen. Ohne Beachtung der ökonomischen und sozialen Umbrüche kommt man früher oder später zu Aporien. Ganz wunderbar demonstriert das Wolfgang Welsch in „Unsere postmoderne Moderne“, wo er im Bemühen, die Vereinfachungen der französischen Postmodernisten zuz umgehen, zu äußerst gewagten Hilfskonstruktionen kommt.
Bei der Suche nach der Antwort auf die Frage, wann denn nun dieser Prozess begonnen hat, der so allgemein wie auch diffus als Moderne bezeichnet wird, muss man zwangsläufig eine gewaltiges Stück in der Geschichte zurückgreifen. Die „klassische“ Phase im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert jedenfalls ist schon eine höhepunkt einer langen Wegstrecke. Auch das fast zeitgleiche Wirken von Aufklärung und Industrialisierung im späten 18. Jahrhundert markiert eher den point of no return, aber nicht den Startpunkt. Sogar Renaissance und Zeitalter der großen geografischen Entdeckungen bauen auf Grundlagen auf, die im 13. Jahrhundert gelegt wurden. Da kam einiges zusammen: es entstanden wieder Städte nach Jahrhunderten des ländlichen Lebens, das Geld wurde wieder zum allgemeinen Zahlungsmittel, zugleich weichte das Zinsverbot auf, ein allgemeiner Schub in der Produktivität setzte ein. Wichtige Beiträge lieferte ausgerechnet das Christentum, das später zu den Verlierern der Moderne gehörte: die Achtung der Arbeit (auch der körperlichen) und wegen der regelmäßig anzuhaltenden Gebete das Interesse an objektiver Zeitmessung. Und im geistigen Bereich ging all das mit dem Universalienstreit einher, in dem sich schließlich die Nominalisten durchsetzten. Nur dieses Zusammentreffen kann erklären, wieso gerade in Europa und gerade zu dieser Zeit eine Eigendynamik einsetzte , die dann nicht mehr zu stoppen war. Schließlich war China mit wichtigen Erfindungen weit voraus: Schießpulver, Wasserräder, Papier, Buchdruck und anderes. Und die chinesische Flotte des 14. Jahrhunderts war so dimensioniert wie keine europäische bis ins 19. Jahrhundert hinein. Trotzdem kam in China (wie auch im antiken Europa) nicht dieser Prozess ins Laufen, der im Endeffekt als Moderne bezeichnet wird.